Das trockene Meer
Wenn wir – zumindest grob – wissen möchten, wo Ungarn mit seinen knapp zehn Millionen Einwohnern eigentlich liegt und warum es so viele Nachbarn hat, ist vielleicht ein kurzer Blick in die Erdgeschichte keine schlechte Idee. Ungarn befindet sich nämlich weitgehend in einer Gegend, die wir als „Pannonische Tiefebene“ oder auch als „Karpatenbecken“ bezeichnen. Diese Senke misst immerhin so ungefähr 400 mal 300 Kilometer und war bis vor gar nicht allzu langer Zeit nichts anderes als ein vergleichsweise überschaubares Binnenmeer. Erst vor ungefähr fünf bis zehn Millionen Jahren trocknete es vollständig aus und wird heute nur noch von ein paar Flüssen und Seen mit Wasser versorgt, namentlich vor allem vom Plattensee, von der Donau und von der Theiß. Die alten Beckenbegrenzungen in Form von recht beachtlichen Bergketten sind natürlich erhalten geblieben, sodass wir im Nordwesten auf die Alpen, im Südwesten auf das Dinarische Gebirge, im Norden auf die Hohe Tatra und im Osten und Südosten auf die Karpaten stoßen.
Eine geologische Pfanne also. So gesehen eine ziemlich übersichtliche Angelegenheit, wären da eben nicht auch jede Menge angrenzender Länder, Staaten und Volksgruppen angesiedelt: die Slowakei und die Ukraine im Norden, Rumänien im Osten, Serbien und Kroatien im Süden, und last, but not least Slowenien und Österreich im Westen.
Die lieben Nachbarn
Ganz schön bunt, und wenn man sich vor Augen hält, dass neben der bestimmenden Volksgruppe der Magyaren auch noch jede Menge Roma, Ungarndeutsche (unter anderem Donauschwaben), Slowaken, Kroaten, Rumänen, Ukrainer, Serben, Slowenen und Wenden, Polen, Griechen, Bulgaren, Russinen (das sind keine weiblichen Russen, sondern eine ostslawische und gemischtsprachige Bevölkerungsgruppe) und Armenier hier dauerhaft leben, wird sehr schnell klar, dass es DIE EINE UNGARISCHE Küche so eigentlich nicht geben kann: Seit jeher ist Ungarn ein Vielvölkerstaat.
Reichlich Platz, guter Boden und dann auch noch die hervorragende Anbindung an sozusagen den ganzen Rest der gesamten Welt durch die mächtige Donau, egal, ob nach Nordwesten in Richtung Bayern oder nach Südosten zum Schwarzen Meer – auf jeden Fall war Ungarn oder der Teil der Welt, den wir Pannonisches Becken nennen, seit jeher ein wahrer Schmelztiegel an Kulturen, Sprachen, Religionen, Prinzipien, Erfahrungen, Vorlieben und folgerichtig auch Kochrezepten. Das führte bei uns unter anderem in den 80er- und 90er-Jahren dazu, dass Restaurants sich gerne „Puszta-Stuben“ (was nur einem kleinen Teil Ungarns Rechnung trug) oder – schon etwas besser ins Bild passend, wenn auch nicht gerade akkurat – „Balkan-Stuben“ nannten, was der Sache schon etwas näher kommt. Alles andere hätte uns einfältige Westeuropäer wohl ohnehin überfordert.
Außerdem war da ja auch noch die Sache mit Österreich-Ungarn, den Habsburgern und der K.-u.-k.-Monarchie, was an dieser Stelle aber wirklich zu weit führen würde.
Der gedeckte Tisch
Mit der Vielfalt all dieser Einflüsse wuchs natürlich auch der kulinarische Reichtum, außerdem war Ungarn im 15. Jahrhundert eine Zeit lang sehr reich und bedeutsam, sodass auch entferntere ausländische Strömungen die Küchen erreichten. Darüber hinaus war der Tisch seit jeher recht reichlich gedeckt, denn die zahlreichen Gewässer wimmelten nur so von Fisch (zum Beispiel Fogasch/Fogas), also Zander aus dem Balaton, dem Plattensee), im offenen Grasland, in den Wäldern und in den kleinen Steppen tummelte sich jede Menge Wild. Außerdem ist und war der Boden fruchtbar, sodass auch Ackerbau und Viehzucht ziemlich gut von der Hand gingen. Und in den trockeneren Regionen fühlten sich vor allem Obst, Gemüse, Wein und dann natürlich die Paprika ausgesprochen wohl, was einen riesigen Einfluss auf die ungarische Küche haben sollte.
Und weil sie es nicht nur feurig-würzig lieben (Paprikagerichte), sondern auch sämig-mild (Sauerrahm, Tejföl) und ganz bestimmt auch süß und saftig, gehören unbedingt einige sehr berühmte Desserts auf den Tisch, wenn man es richtig ungarisch haben möchte.
Insgesamt kochen sie sehr gerne im Kessel (Bogrács), sodass Suppen, Eintöpfe, das berühmte Gulasch (also eine Suppe) und alles, was man gut zusammen kochen und garen kann, sehr weit verbreitet sind.
Aber sortieren wir jetzt erst mal, welche die wichtigsten Speisenbezeichnungen sind, dann kommen wir der Sache – und der ausgesprochenen Vielfalt der ungarischen Küche – schon ein gutes Stück näher (wie die Namen ausgesprochen werden, müssen Sie wohl leider selbst herausfinden – hierfür reicht unser Platz leider nicht …).