Ein Kohl namens Rübe
Also, wenn Namen Programm sind, dann hat diese Wurzel nicht gerade viel Glück bei der Vergabe gehabt. Oder haben Sie schon mal von einer „Wruke“ gehört? Sagt Ihnen der Begriff „Dotsche“ etwas? Wie wär’s denn mit „Kamputze“? Auch nicht? Okay, aber „Knutsche“ kennen Sie vielleicht? Nein? Na ja – wir ehrlich gesagt auch erst mal nicht.
All diese eigenartigen Begriffe sind durchaus nicht besonders geläufig, beschreiben aber natürlich ein und dieselbe Sache: die Steckrübe – diesen rundlichen, blassen, oft etwas knorpelig aussehenden Kohlenhydrat-Klumpen, der, zumindest botanisch gesehen, zur einen Hälfte mit dem Kohl verwandt ist (und daher mancherorts auch als Kohlrübe bekannt) und zur anderen ausgerechnet mit dem hübschen Raps.
Schweres Erbe
Auf jeden Fall hat die bedauernswerte Steckrübe ein ernsthaftes Imageproblem, was ganz gut nachvollziehbar ist, wenn man sich die Knolle mal genauer ansieht: Sie ist weder so elegant wie der Spargel noch hat sie die bezaubernde Schönheit einer Artischocke. Haptisch ist sie mehr Kartoffelsack als Aubergine, und um alles noch ein bisschen schlimmer zu machen: Sie kann ganz schön schwer sein, das Schälen ist eher mühsam, saftig ist sie auch nicht wirklich und – ganz ehrlich – wohl noch niemand hat je gezielt vom Duft einer Steckrübe geschwärmt. Da ist einfach kein bisschen verwunderlich, dass die Steckrübe, obwohl leicht genug zu bekommen und ein erstklassiges Nahrungsmittel, immer noch um eine gewisse Beliebtheit zu kämpfen hat.
Retter in der Not
Dabei hat sich die Rübe schon mehrmals als wahrer Retter in der Not erwiesen – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Im sogenannten „Steckrübenwinter“ 1916/17 zum Beispiel war die Kartoffelernte in Deutschland katastrophal ausgefallen, das Volk hungerte und es fehlte an allem. Allerdings waren Äcker, Böden und Speicher randvoll mit Steckrüben, die eigentlich als Schweinefutter gedacht waren. Binnen kürzester Zeit machte man aus der Rübe fast alles, was man irgendwie als Nahrung zu sich nehmen konnte: Suppen, Aufläufe, Kuchen, Marmelade und sogar Kaffee.
Das Ganze ging sogar so weit, dass 1917 eigens verfasste „Steckrüben-Kochbücher“ erschienen. Allerdings konnten weder deren abenteuerliche Inspirationen zur Verarbeitung noch die Umbenennung des Gemüses in „Ostpreußische Ananas“ (da muss man erst mal drauf kommen) dem Volk die Steckrübe schmackhaft machen. Und so blieb der „Reichskartoffelstelle“ (die gab es wirklich) nichts anderes übrig, als den beeindruckenden Steckrübenüberschuss von immerhin rund 80 Millionen Zentnern auf andere Weise unter die Leute zu bringen:
Die Rüben wurden zu Dörrgemüse und Rübenmehl verarbeitet. Dieses Mehl, mit etwas Kartoffelmehl und Brühwürfelpulver gemischt, erhielt allen Ernstes das Prädikat „Vollkost“ und war fortan im Handel erhältlich. Um irgendwelche Lebensmittel anderer Art kaufen zu können, war jede Familie dazu angehalten (also zwingend verpflichtet), vorab eine bestimmte Menge dieser neuen „Vollkost“ abzunehmen.
Alles in allem ist es also fairerweise nicht verwunderlich, dass die Steckrübe so lange mit ihrem Image zu kämpfen hatte.
Küchenzauber
Aber – und das können wir Ihnen versichern – wenn Sie der Steckrübe, richtig zubereitet, erst einmal eine echte und ihr würdige Chance gegeben haben, dann gibt es im Grunde kein Halten mehr. Dass man mit ihr im Prinzip vom Kuchen bis zum Kaffee so ziemlich alles zubereiten kann (wenn auch nicht unbedingt sollte), lässt schließlich schon deutliche Rückschlüsse auf ihre Vielseitigkeit zu.
Anders gesagt: Probieren Sie die Steckrübe durchaus mal als Kartoffelersatz – sie glänzt als Gratin und Püree und kann genauso gut gebraten wie geröstet werden. Sie ist kalorienärmer und weniger stärkehaltig als die andere Knolle und enthält eine ausgewogene Mischung an Vitaminen und Mineralstoffen, allen voran Calcium und Vitamin C.
Die nördlichen Fans
Es scheint übrigens nicht von ungefähr zu kommen, dass die Steckrübe im Norden Deutschlands ihren festen Platz in der traditionellen Küche hat. Rübenmus kennen sie dort oben alle und die Rübe ist hier mit ziemlicher Sicherheit auch in Omas Eintopf zu finden. Denn obwohl man den Ursprung der Rübe nicht so ganz genau festmachen kann, gilt als ziemlich sicher, dass sie ursprünglich aus Schweden oder zumindest von irgendwo in Skandinavien in unsere Breiten gekommen ist. In Norddeutschland und in weiten Teilen Skandinaviens ist die Steckrübe vor allem aus dem Winter-Speiseplan kaum wegzudenken und so erklärt sich dann, warum die Steckrübe bei uns auch als „schwedische Rübe“ bekannt ist.
In Schottland zum Beispiel heißt sie heute noch „Swede“ (Schwede). Dort, so glaubt man, ist sie so um das Jahr 1800 angekommen, als der damalige König Gustav von Schweden – aus welchen Gründen auch immer – einem gewissen Patrick Miller aus Dumfries and Galloway eine Steckrübe schenkte, woraufhin die Schotten sie unmittelbar in ihre treuen Herzen schlossen und sie bis heute mit großem Vergnügen verzehren.