Hefeteig und Sauerteig
Alte Welt und neues Wissen
Wer sich ein bisschen für Naturkunde oder – etwas moderner – Naturwissenschaften interessiert, wird früher oder später dem Namen Gaius Plinius Secundus Maior begegnen, der auch als Plinius der Ältere bekannt ist. Der berühmte römische Gelehrte hinterließ nicht nur zahlreiche akribisch recherchierte und aufgearbeitete Geschichtswerke, sondern vor allem auch die „Naturalis historia“, also die „Naturgeschichte“, die immerhin 37 Bände umfasste und so ziemlich alles enthielt, was es damals über die Welt der praktischen Wissenschaften zu wissen gab. Damals, damit ist die Zeit des 1. Jahrhunderts nach Christus gemeint, die allgemein als Blütezeit des römischen Imperiums angesehen wird. Es gab also für die alten Römer eine ganze Menge zu studieren – gerade auch aus fremdländischen Quellen.
Aber so groß Plinius’ Wissen, sein Fleiß und sein Können ganz sicher waren, so groß war auch das Pech, das den berühmten Mann letzten Endes ereilte: Dummerweise hielt er sich nämlich am 24. August 79 in dem hübschen Örtchen Stabiae auf, das nur 4,5 Kilometer von Pompeji am Golf von Neapel lag und das durch den berühmten Ausbruch des Vesuvs ebenso dem Erdboden gleichgemacht wurde wie das etwas weniger berühmte Herculaneum und natürlich Pompeji selbst. Plinius wurde 56 Jahre alt.
Kulturkampf in der Backstube
Auf jeden Fall aber war er bis dahin weit herumgekommen, hatte sich fleißig Notizen gemacht und auch einen besonders scharfen Blick für vermeintlich alltägliche Dinge und Phänomene entwickelt, den man als ziemlich pragmatisch bezeichnen kann. So grantelte er zum Beispiel im 18. Buch seiner „Naturalis“ unter dem Stichwort Nummer 40, dass Roggen minderwertig und magenschädlich sei und sich nur dazu eigne, um in Notzeiten den Hungertod abzuwehren.
Und im Grunde hatte er damit auch erst mal gar nicht so Unrecht: Plinius entstammte einer Kultur, die nicht nur die schönen Dinge des Lebens zu schätzen wusste, sondern in deren Einflussgebiet auch klimatische Zustände herrschten, unter denen sich besonders der Weizen wohlfühlte. Weizen war das Getreide der Wahl und die Bäcker hatten bereits so ziemlich alles entdeckt, was man brauchte, um die schönsten Backwaren aus dessen Mehl zu machen – Hefe eingeschlossen. Beim Roggen sah die Sache vollkommen anders aus, weil dieser sich viel wohler jenseits der Alpen fühlte, Kälte und Wasser sehr gut vertrug und auch auf sandigen, um nicht zu sagen kargen Böden hervorragend gedieh. Allerdings bereitete sein Mehl den Bäckern so einiges Kopfzerbrechen und wurde – zumindest in Rom – nur äußerst ungern und selten verarbeitet. Was also sollte ein Römer schon über die Bearbeitung dieses Korns wissen?
Manches kann, manches muss
Zugegeben: Plinius hat schon irgendwie gewusst, dass Mehl und Säure grundsätzlich gute Partner sein können, und so empfahl er, dass man Kleie drei Tage vor der Weiterverarbeitung mit altem Traubenmost versetzen sollte, um auf diese Weise so etwas wie einen Vorteig herzustellen. Das wird auch heute noch so ähnlich gemacht, wenn man sich an die Herstellung von Ciabatta begibt (das ja auf Weizenmehl basiert, darum setzt Plinius auch auf Weizenkleie beim Brotansatz, dem sogenannten Anstellgut), und kann Verträglichkeit, Elastizität, Aroma, Geschmack und Haltbarkeit der Backwaren entscheidend verbessern.
Was aber dem guten Plinius einfach nicht klar war – und ehrlicherweise auch gar nicht klar sein konnte: Beim Weizen KANN man das so machen, beim Roggen dagegen MUSS das unbedingt passieren. Roggen besitzt nämlich von Natur aus einen ziemlich hohen Anteil der Enzymgruppen Proteasen und Amylasen, die auf den Abbau von Gluten und von Stärke spezialisiert sind. Lässt man den beiden freie Fahrt, so bauen sie das Gluten weitgehend ab (dann zerfällt das Brot schlicht, weil sein „Klebstoff“ fehlt) und schädigen zu allem Überfluss noch die Stärke, die ganz maßgeblich für die Wasseraufnahme und -bindung des Teigs zuständig ist. Anders gesagt würde das Brot ohne Säuerung nicht aufgehen und flach und trocken werden – vom Geschmack mal ganz zu schweigen.
Roggen roll
Die berühmten Milchsäurebakterien dagegen sorgen zuverlässig für die Enzymhemmung: Proteasen und Amylasen mögen es nicht sauer und stellen ihre Tätigkeit irgendwann ein, weswegen ein typisches Sauerteigbrot einen pH-Wert von 4,3 bis 3,8 hat, also auf der sauren Seite liegt. Durch die geringere Enzymtätigkeit erhöhen sich der Wasseranteil und somit die Elastizität der Krume (dadurch haften gute Sauerteigbrote beim Kauen nicht an Zähnen und Gaumen und bieten ein sehr angenehmes Mundgefühl). Gleichzeitig arbeiten sie auch diejenigen Zucker ab, die die Hefe nicht verwerten kann. Die Hefen wiederum erzeugen Kohlendioxid, was den Teig aufgehen lässt und eine vergleichsweise lockere Krume ergibt. Ein typischer Sauerteig besteht also immer sowohl aus Milchsäurekulturen als auch aus natürlich vorkommenden Hefen – eine ziemlich gelungene Arbeitsteilung.
Mit anderen Worten: Der große Unterschied zwischen Weizen und Roggen sind die Enzyme, die im Weizen in viel geringeren Anteilen vorkommen, weswegen gar nicht erst die Gefahr besteht, dass sich der Teig sozusagen selbst verdauen könnte. Beim Weizenmehl kommt die Milchsäure nur zum Einsatz (und auch dann nur in vergleichsweise geringen Anteilen), weil man sich mehr Geschmack, mehr Feuchtigkeit und bessere Haltbarkeit verspricht (auch ein Panettone basiert übrigens auf Weizen-Sauerteig).
Her mit den Mineralstoffen
Dass Gebäcke aus Sauerteig besonders gut schmecken und duften, ist das eine. Gerade aber bei der Verwendung von Vollkornmehlen haben unsere Mikroben noch einen Trick auf Lager, von dem der gute alte Plinius noch nichts ahnen konnte, der ihn aber garantiert fasziniert hätte: Die sogenannte Randschicht des Korns, also die Samen- bzw. Fruchtschalen, enthält eine gehörige Portion Phytinsäure, die vor Fressfeinden schützt und das Keimen des Korns erleichtert. Eine tolle Sache, wenn Phytin nicht die unangenehme Eigenschaft hätte, wichtige Mineralstoffe wie Magnesium, Mangan, Eisen oder Calcium an sich zu binden (was gut für den späteren Keimling, aber schlecht für unseren Organismus ist).
Anders gesagt hält Phytin die Minerale dermaßen zuverlässig fest, dass unser Verdauungssystem sie nicht auslösen und unserem Körper zur Verfügung stellen kann. Wenn allerdings der pH-Wert ins deutlich saure Klima absinkt, dann bauen getreideeigene Enzyme die Eiweißstrukturen ab, die mithilfe der Phytinsäure die Mineralstoffe binden, und stellen sie für unseren Organismus zur freien Verfügung. Auch darum ist Sauerteiggebäck so gesund.
Das Anstellgut
Die berühmte Starterkultur
Wer einen Sauerteig starten will, der braucht zunächst einmal die Starterkulturen – Sauerteig ist schließlich das Ergebnis einer gelungenen Fermentation und damit diese in Schwung kommt, werden Milchsäurebakterien und geeignete Hefen benötigt, denen das später saure Klima nicht so leicht etwas anhaben kann. Anders gesagt „impft“ man ein Mehl-Wasser-Gemisch mit diesem Cocktail und gibt den Mikroben dann ausreichend Zeit, ihre Arbeit zu machen.
Im Grunde gibt es drei Varianten, wie man diesen alles entscheidenden Prozess in Gang bringen kann: Unter Anstellgut versteht man eine kleinere aufbewahrte Menge des Teigs, aus dem man beim letzten Mal ein Sauerteiggebäck hergestellt hat. Darin sind bereits die erforderlichen (und bewährten) Bakterien und Hefen enthalten.
Trockensauer oder auch Sauerteigkonzentrate werden häufig unter der Bezeichnung Backferment vertrieben. Sie werden hergestellt, indem ein Sauerteig aus Weizenmehl, Erbsenmehl und Honig schonend getrocknet wird. Diese Sauerteigform eignet sich gut für Privathaushalte, weil keine aufwendige Sauerteigführung notwendig ist, der Teig aber nach der Wasserzugabe schnell gäraktiv wird und bereits alle Hefen und Milchsäurebakterien enthält. Backferment eignet sich zur Herstellung von Brot aus Brotgetreidesorten und auch aus Nichtbrotgetreidesorten.
Sauerteig durch spontane Säuerung ist als Verfahren recht alt und quasi narrensicher: Der Starter wird hergestellt, indem man je die gleiche Menge (Roggen-)Mehl und Wasser miteinander vermengt und zugedeckt bei Zimmertemperatur zwei bis fünf Tage stehen lässt. Die natürlicherweise in Mehl, Wasser und Luft vorkommenden Bakterien und Hefen werden vermehrt und beginnen, das Mehl zu ver- und zu bearbeiten. Riecht der Teig dann angenehm säuerlich – oftmals mit einer Fruchtnote –, kann man davon ausgehen, dass sich die Milchsäurebakterien durchgesetzt haben. Riecht der Ansatz allerdings nach faulen Eiern, dann haben die Fäulnisbakterien gewonnen und man muss leider noch mal von vorne beginnen.
Damit sich nämlich eine bestimmte Art von Bakterien oder Hefen sicher entwickeln kann, müssen genügend Keime dieser Art vorhanden sein. Erfolg und Qualität hängen also durchaus auch vom Zufall ab; es ist ein knallharter Verdrängungswettbewerb, der darüber entscheidet, welche Kulturen sich entwickeln.
Wenn man den spontan gesäuerten Teig, also die gelungene Hochzeit von Bakterien und Hefen, aber erst einmal hat, dann lässt er sich problemlos auch über Jahre hinweg immer wieder einsetzen und weiterverwenden.
In diesem Stadium ist es übrigens nicht unbedingt erforderlich, Vollkornmehl zu verwenden. Es kann zwar vorteilhaft sein, weil sich auf der Randschicht besonders viele Hefen und Bakterien befinden, zum Starten einer Kultur reicht „normales“ Mehl aber ebenfalls aus. Beim späteren Backen ist Vollkornmehl dagegen eine gute Idee, weil es eben besonders viele Mineralstoffe enthält. Aber das wissen Sie – im Gegensatz zum unglücklichen Plinius – ja schon ...