Von doddies und hummlies
Endlich ist das Loch Ness mal für etwas gut. Genauer gesagt soll es uns heute als geografische Orientierung dienen. Das Loch Ness verläuft im Norden Schottlands (also oben) von Nordosten (oben rechts) mehr oder weniger kerzengrade nach Südwest (unten links). In derselben Richtung folgen dann kurz darauf Loch Lochy (putzig, oder!?) und, in den Atlantik mündend, Loch Linnhe.
Nehmen wir an, wir würden alles, was oberhalb (west-nordwestlich) dieser Linie liegt, wegschneiden, einmal auf die Highlands verzichten, wenn wir ‚Schottland‘ denken und vom Loch Ness aus ziemlich genau nach Osten (rechts) wandern, dann kämen wir nach ungefähr 150 Kilometern nach Aberdeenshire, der Heimat des Inbegriffs vom perfekten Rind: Dem Aberdeen Angus.
Man muss sie einfach lieben
Und schon geht das Durcheinander los: Es ist nämlich nicht so, dass ‚Aberdeen‘ die Herkunft bezeichnet und ‚Angus‘ einfach ein stolzer, schottischer Vorname wäre. Ist er natürlich auch, aber so ist das beim Aberdeen Angus nicht zu verstehen. ‚Angus‘ ist nämlich eine Grafschaft, die sich direkt unterhalb (südlich) von Aberdeenshire befindet. Aber weil Aberdeenshire viel, viel größer ist, als Angus, durfte es als erster in den Namen. Kleiner Trost ist, dass wenigstens die entsprechenden Rinder aus den beiden Grafschaften dieselben sind.
Die Schotten sind schlau und haben natürlich immer schon gewusst, was gut und lecker ist. Und so ist es absolut nicht verwunderlich, dass sie die Rasse bereits mindestens seit ca. 1500 hegten, züchteten, pflegten – und natürlich mit Freuden verspeisten. Sie hatten ihr Angus dermaßen lieb, dass sie ihm die bezauberndsten Kosenamen gaben: ‚doddie‘ oder auch ‚hummlie‘ wurde es lange genannt.
Aberdeen Angus - Yes Sir!
Mit dieser hinterwäldlerischen Unbefangenheit war allerdings 1824 Schluss, als ein gewisser William McCombie of Tillyfour, Farmer und Politiker mit Sitz im Regionalparlament von Aberdeenshire, beschloss, sich der ‚Sache Angus‘ einmal so richtig anzunehmen und dem wenig bis gar nicht organisierten und strukturierten Doddie-und-Hummlie-stehen-auf-meinen-Feldern-und-grasen-und-wenn-ich-sie-essen-will-dann-tue-ich-das-eben-Chaos zu Leibe zu rücken. Wo kämen wir denn hin, wenn jeder hier macht, was er will?!
Mr. McCombie zog also einen Schlussstrich unter das ach so freie Farmerleben und bestimmte zunächst einmal ‚klar und deutlich‘, wie die Rinder ab sofort zu heißen, wie sie auszusehen und welche Eigenschaften sie zu haben hätten. Und natürlich war er es auch, der die erste ‚reine‘ Angus Herde sein Eigen nannte. Praktisch, wenn man festlegen kann, wie sie ab sofort für alle zu sein haben, wenn man schon jede Menge davon besitzt und nur einen Blick darauf werfen muss…
Klein, stark, gut
Egal. Wir wollen nicht meckern und außerdem – das muss man schon zugeben – verdanken wir dem cleveren Mr. McCombie eine der besten und erfolgreichsten Rinderrassen der Welt. Was so speziell an den Angus Rindern ist? Erstens sind sie schwarz, das sieht natürlich schon mal ziemlich cool aus und macht sie relativ unverwechselbar. Aber weil wir das Fell schließlich nicht essen, gibt es noch ein paar Eigenschaften, die entschieden wichtiger sind.
Sie haben von Natur aus keine Hörner (engl. ‚polled‘), was ihre Haltung in Herden oder auch in Ställen wesentlich ungefährlicher macht. Sie sind ausgesprochen robust und äußerst unempfindlich gegen Kälte, Wind, Regen oder Krankheiten (sind schließlich Schotten). Sie werden nicht allzu groß (Schotten). Sie bauen schöne, starke Muskeln auf (Schotten), die von reichlich Fetteinlagerungen durchzogen sind (Schotten). Sie wachsen schnell, sind früh geschlechtsreif und verfügen über eine besonders hohe Libido (Schotten). Sie kalben leicht (weiß ich jetzt nicht) und sind sehr gut zu ihrem Nachwuchs (Schotten).
Cheers
Etwas so schottisch-Geniales musste einfach früher oder später seinen Siegeszug um den Globus antreten (es konnte ja nicht immer bei Wolle und Whisky bleiben) und so gesehen dauerte es erstaunlich lange, bis es endlich so weit war. Bis 1879 in Argentinien, bis 1885 in den USA. Nur Tasmanien war mal so richtig schnell: Hier wurden die ersten Black Angus bereits 1820 gezüchtet, aber die entsprachen natürlich noch nicht den strengen Rassemerkmalen unseres Mr. McCombie, weil sie wahrscheinlich schon vor seinem entschiedenen Vorgehen von schottischen Siedlern mitgebracht worden waren. (Und wenn hier ‚Siedler‘ geschrieben steht, dann ist das ein ziemlicher Euphemismus, weil Tasmanien damals noch ‚Van Diemen's Land‘ hieß und die größte Strafkolonie des britischen Empire war.)
Heute jedenfalls ist das Black Angus Rind die zweithäufigste Rinderrasse der Welt (in den USA auf Platz 1) und seine zahlreichen Kreuzungen (z.B. Wagyu + Angus = Wangus) machen die Zahl noch sehr viel größer.
Danke, Schottland!