Spitzengruppe
Wenn ein landwirtschaftlich erzeugtes Produkt die Nahrungsgrundlage für einen Großteil der Weltbevölkerung darstellt, dann nennen wir es „Grundnahrungsmittel“. Und bei aller Liebe zu Kartoffeln oder auch Nudeln müssen wir uns der Wahrheit stellen und konstatieren, dass diese beiden mit weitem Abstand nicht dazugehören. Nehmen wir nämlich die vier am häufigsten angebauten Nutzpflanzen weltweit, dann finden wir mit großem Abstand nur Zuckerrohr, Mais, Weizen und Reis – wobei man wissen muss, dass Mais nur zu einem relativ kleinen Teil der menschlichen Ernährung dient und Zuckerrohr noch viel weniger. Bleiben Weizen und Reis (der zu ca. 90 % für die menschliche Ernährung genutzt wird), die in mehr oder weniger derselben Menge geerntet werden (je so um die 760 Millionen Tonnen jährlich).
Und das kommt auch gar nicht von ungefähr, weil der Weizen trockene und moderat warme Bedingungen bevorzugt, wohingegen Reis eben die feuchten und moderat warmen Gegenden der Welt liebt – die beiden kommen sich also sozusagen nicht in die Quere und wachsen und gedeihen jeweils genau da, wo es dem anderen nicht so gut gefällt. Übrigens scheint auch der Zeitpunkt ihrer jeweiligen Domestikation durch den Menschen ungefähr gleich zu sein, nämlich nach dem Ende der letzten Eiszeit vor ungefähr 10.000 Jahren. Aber verabschieden wir uns an dieser Stelle vom Weizen und wenden wir uns nun ganz dem Reis zu, über den gibt es nämlich ganz schön viel zu wissen und zu erzählen.
Erst mal sortieren
Fangen wir der Einfachheit halber ganz vorne an und arbeiten wir uns dann möglichst systematisch und gut sortiert durch dieses komplexe und ziemlich interessante Thema.
Zunächst: Reis ist ein Getreide, das heißt, dass wir es mit meist einjährigen Pflanzen aus der Familie der Süßgräser zu tun haben, die wegen ihrer stärkereichen Körnerfrüchte kultiviert wurden und werden und die einen fetthaltigen Keimling haben.
Die Kulturreispflanze Oryza sativa (die zuerst wohl in Südchina gezielt angebaut wurde) kann bis zu 30 Halme ausbilden, die 50 bis 160 Zentimeter hoch werden und je eine schmale überhängende Rispe ausbilden, an der 80 bis 100 Ährchen sitzen können. Eine einzige Pflanze kann somit ca. 3.000 Früchte produzieren, was sie ziemlich ertragreich macht. Die Frucht selbst besteht wie bei allen Getreiden aus Keimling, Mehlkörper, Aleuronschicht, Samenschale und Fruchtwand. Beim Reis bilden die drei Letzten zusammen das sogenannte Silberhäutchen, über das wir später noch sprechen werden.
Eine zweite wichtige Reispflanze ist die Oryza glaberrima, die aus Afrika um den Fluss Niger herum stammt und erst vor ungefähr 2.000 bis 3.000 Jahren domestiziert wurde. In den Handel kommt der „afrikanische Reis“ bei uns kaum, weil er nach und nach auch in Afrika durch Oryza sativa verdrängt wurde.
Und wenn Sie einem Produkt begegnen, das auf dem Etikett die Bezeichnung „Wildreis“ trägt, dann handelt es sich – zumindest botanisch gesehen – nicht um „klassischen“ Oryza (so die botanisch korrekte Bezeichnung von Reis), sondern um eine wasserliebende Wildform, die man „Zizania“ nennt. Oder um es noch klarer zu machen: Wildreis ist keineswegs irgendeine Wildform von Oryza, sondern nur ein ziemlich entfernter Verwandter.
Getreide im Wasser?
Wenn wir uns die teils riesigen Reisfelder, -plantagen oder -terrassen vor Augen führen, auf denen Menschen mit den typischen Sonnenhüten in gebeugter Haltung entweder pflanzen oder ernten und auf denen die Wasserbüffel so duldsam ihre Runden durch knietiefes Wasser drehen, dann fällt es schwer zu glauben, dass der Reis selbst überhaupt keine Wasserpflanze ist. Vielmehr mag er zwar feuchte Erde, aber so richtig im Wasser stehend kann er eigentlich nicht überleben. Erst durch jahrhundertelange Zucht wurden ihm Eigenschaften beigebracht, die es ihm ermöglichen, auch dann zu gedeihen, wenn die Wurzeln pausenlos extrem nass sind und auch ein Gutteil der Pflanzenhalme im Wasser steht.
Ohne Fleiß kein Reis
Wenn man es genau betrachtet, fällt einem irgendwann auf, dass die fleißigen Reisbauern oft bereits vorgezogene Jungpflanzen in großen Bündeln auf die Felder tragen und sie dort in die nasse Erde stecken. Der Grund hierfür liegt genau in der natürlichen Biologie von Reis: Das Reiskorn kann in stehender Nässe nicht keimen (schon gar nicht unter Wasser), es verfault und vergeht unter diesen Umständen. Darum säen die Reisbauern den Reis zunächst auf relativ trockenen sogenannten „Pflanzfeldern“ aus, wodurch Keimung und erster Wuchs möglich werden. Erst, wenn die junge Pflanze eine gewisse Höhe erreicht hat, wird sie vom Pflanzfeld auf das spätere Reisfeld umgesetzt. Und auch das dürfte nicht allen von uns klar sein: Die zwar feuchten, aber keineswegs klatschnassen Reisfelder werden vor dem „Umtopfen“ gepflügt (Stichwort: Wasserbüffel) und in den allermeisten Fällen erst dann geflutet, wenn der Pflanzvorgang bereits beendet ist und alle Jungpflanzen in der Erde stehen. Ab diesem Zeitpunkt braucht der Reis so gut wie überhaupt keine Pflege oder Beaufsichtigung mehr, erst zur Ernte kommen die Bauern dann wieder zurück. Sehr viel Arbeit also am Anfang, dann eine schöne Pause von vier bis sechs Monaten und dann noch mal die knochenbrechende Erntezeit.
Nicht schlecht
Aber warum? Warum strengten und strengen sich die Leute dermaßen an, damit der Reis mitten im Matsch wachsen und gedeihen kann? Im Grunde genommen war das wohl eine Kosten-Nutzen-Rechnung, denn: Ist die Pflanze einmal im Wasser, dann wachsen keine Unkräuter mehr um sie herum. Das ist zum einen ausgesprochen gut für das Wachstum selbst und zweitens – genauso wichtig – fallen keine ungewollten Körner oder Pflanzen an, was sowohl die Ernte als auch die folgende Weiterverarbeitung erheblich erleichtert.
Allerdings muss man schon sagen, dass es so ganz ohne Können und Kenntnis nicht möglich ist, ein Reisfeld erfolgreich zu führen, weil man sich stets sehr akribisch um den Wasserstand zu kümmern hat: Trocknet das Feld aus, dann sprießt natürlich sofort das Unkraut, steht das Wasser, dann bilden sich für die Wurzeln tödliche Algen, und fließt das Wasser zu schnell, dann schwemmt es wertvolle Nährstoffe aus dem Boden und lässt ihn veröden.
Schritt für Schritt
Unmittelbar nach dem Schnitt der reifen Halme erfolgt – das zählt noch zur Ernte – das Dreschen, also die Trennung der Körner von der eigentlichen Pflanze. Weil bei diesem Prozess aber auch wirklich nichts anderes passiert als diese Trennung, ist der Reis jetzt noch keineswegs verzehrbereit, denn die sogenannten „Deckspelzen“, also sehr kleine, trockene Blättchen, die den Keimling umgeben, befinden sich noch immer am Reiskorn. Das komplette Reiskorn, wie es nach dem Dreschen vorliegt, ist noch vollkommen ungenießbar und kann sogar zum Erstickungstod führen (besonders bei Kleinkindern).
Im nächsten Schritt werden die Reiskörner darum zunächst auf 14 bis 16 % Wassergehalt heruntergetrocknet – dieses Zwischenprodukt wird Roh- oder auch „Paddy-Reis“ genannt. Abhängig davon, welche und wie viele Verarbeitungsschritte nun folgen, entstehen verschiedene Produkte:
In einer Reismühle werden nach der Trocknung die Spelzen entfernt, die etwa 20 % des ursprünglichen Gewichts ausmachen. Es verbleibt die eigentliche Reisfrucht, die aus Mehlkörper, Keimling und umgebendem Silberhäutchen besteht. Sie wird „ungeschälter Reis“, „brauner Reis“ oder auch „Cargoreis“ genannt, da der Reis meist in dieser Form exportiert wird.
Als „Naturreis“ kommt dieser Reis teilweise schon zum Verbrauch in den Handel. In der Küche wird er auch „Vollkornreis“ genannt, da dem Reiskorn noch das vorhin schon erwähnte Silberhäutchen und der Embryo anhaften. Dadurch ist der Gehalt an Vitaminen, Spurenelementen und Eiweiß höher als bei den üblichen Reisprodukten.
Durch Schleifen werden anschließend Silberhäutchen und Keimling vom ungeschälten Reis entfernt. In dieser Form heißt der Reis geschliffener oder „weißer Reis“. Er ist wesentlich haltbarer als der fetthaltigere ungeschälte Reis, hat aber bereits den größten Teil seiner Mineralstoffe und Vitamine verloren.
Der nach dem Schleifen raue, Stärke ins Kochwasser abgebende und deswegen klebrig kochende Reis wird durch Polieren geglättet. Dies geschieht trocken oder mit etwas Wasser durch Reibung der Reiskörner aneinander. Dieses Produkt heißt dann „polierter Reis“.
„Schnellkochender Reis“ oder auch „konvertierter Reis“ ist vorgekochter und wieder getrockneter Reis.
Als „Bruchreis“ bezeichnet man Reis, der während der Verarbeitung zerbrochen ist. Er unterscheidet sich nicht im Geschmack, sondern lediglich in den Eigenschaften der Zubereitung.
Korn für Korn
Angesichts der etwa 120.000 verschiedenen Reissorten weltweit könnte man sehr schnell die Übersicht und später dann auch ziemlich sicher den Verstand verlieren, wenn man sich in allen Details mit ihnen befassen würde. Lassen Sie uns an dieser Stelle also deutlich grober vorgehen, den Reis in seine drei größten und wichtigsten Gruppen einteilen und dann noch ein paar der bedeutendsten Sorten ansehen:
Für den Handel unterscheidet man grundsätzlich zwischen den beiden Extremen: Langkornreis (auch Brühreis oder Patna – es gibt sowohl trocken kochende indische als auch klebrig kochende japanische Varianten) und Rundkornreis (auch Milchreis). Es gibt, wie sollte es anders sein, aber auch eine Variante in der Mitte, den Mittelkornreis.
Hier kommen die wichtigsten Reissorten und ihre Hauptmerkmale:
Reis in der Küche
Neben der Wahl der jeweiligen Reissorte hat auch die Zubereitungsmethode großen Einfluss auf das Verhalten des Amylopektins (also auf die enthaltene Stärke) und damit auf die spätere Konsistenz. Manche Rezepte oder auch Schulen sehen vor, den Reis vor der eigentlichen Zubereitung so lange zu wässern, bis das Wasser klar und somit sämtliche außen am Reiskorn liegende Stärke ausgewaschen ist; andere überspringen diesen Schritt. Beides ist zulässig und folgt eher dem persönlichen Geschmack oder Rezept.
Bei der Wasserreismethode wird der Reis in ungefähr der fünffachen Wassermenge gekocht, also in deutlich mehr Flüssigkeit, als er beim Garen aufnehmen kann. Die bindende Stärke wird dabei in das Umgebungswasser abgeführt und nach dem Kochvorgang abgegossen, sodass die Reiskörner nach dem Kochen wenig aneinander kleben. Auch andere Nährstoffe, die während des Kochens in das Kochwasser gelangt sind, gehen dabei allerdings verloren. Das Wasser mit dem Reis wird in der Regel während des ganzen Garprozesses am Siedepunkt gehalten.
Bei der Quellreismethode, auch Absorptionsmethode, kocht man den Reis ungefähr mit der zweifachen Wassermenge, also mit gerade so viel Flüssigkeit, wie der Reis aufnehmen kann. Das Ausquellen erfolgt nach dem Aufkochen bei geringer Wärmezufuhr oder mit der Restwärme. Der Topf wird dabei nicht ganz geschlossen, sodass Wasserdampf entweichen kann und die Körner an der Oberfläche trocken sind.
Beim Dämpfen nimmt der Reis das zum Aufquellen erforderliche Wasser über den Wasserdampf auf. Der Reis kann auch vor dem Dämpfen eingeweicht werden. Dieses Dämpfen kann direkt im Topf erfolgen (in der Gastronomie auch im Heißluftdämpfer) oder unter Zuhilfenahme eines Dämpfeinsatzes.
Tahdig (persisch: Boden, Topf), auch Tadig, ist ein Reisgericht der persischen Küche, das sich durch die Kruste, die sich am Topfboden bildet, auszeichnet; die Kruste entsteht durch Fett (Butter oder geläuterte Butter). Der vorgekochte Reis gart, dämpft und brät gleichzeitig ohne Umrühren bei geschlossenem Deckel.
Ob der Reis nun in Salzwasser gekocht wird oder eben nicht, hängt von den jeweiligen Landesküchen und vom persönlichen Geschmack ab. In Asien ist es zum Beispiel eher üblich, den Reis ohne Salz zuzubereiten – vielleicht auch, weil Beilagen, Soßen und Gewürze ohnehin schon ausreichend Geschmack mitbringen und das Salz im Reis da nur stören würde.