Frankenreich – Riesenreich
Als Kaiser Karl, genannt „der Große“, im Jahr 814 starb, hatte er ganze Arbeit geleistet: Sein Frankenreich erstreckte sich zu der Zeit von Friesland im Norden bis nach Korsika und nach Rom im Süden und westlich von der Atlantikküste bis zu einer östlichen Linie von Hamburg über Regensburg bis nach Kärnten. Anders gesagt: Es war unfassbar groß für damalige Verhältnisse.
So gesehen war es dann auch kein Wunder, dass Karls drei Enkel, direkt nachdem ihr Vater Ludwig der Fromme gestorben war, sich daranmachten, dieses riesige Gebiet einigermaßen fair unter sich aufzuteilen und aus einem drei Reiche zu formen. Die Teilung erfolgte mehr oder weniger von West nach Ost, wobei Bruder Lothar I. die mittlere Partie – Lotharii Regnum, das „Reich des Lothar“ – zugeteilt bekam. Und immer noch war das ein ganz schöner Brocken, denn dieser Teil erstreckte sich immerhin von den heutigen Niederlanden und Belgien über Luxemburg und Burgund bis schließlich zur Kaiserstadt Rom, was logisch war, weil Lothar I. der römische Kaiser und König des Mittelreichs war.
Schon besser
Als sie dann feststellten, dass das Ganze immer noch zu groß war, wurde das Reich des Lothar in der Folgezeit immer weiter aufgeteilt und verkleinert, bis schließlich Lothar II. nur noch über den Teil zwischen Maas und Rhein, der Nordseeküste und Besançon herrschte, der auch das Saarland, Luxemburg, Trier und die Gebiete am Unterlauf der Mosel, Wallonien, den Niederrhein mit Aachen, Köln und Duisburg sowie den Süden der Niederlande im Bereich Maastricht, Eindhoven, Breda umfasste.
Keine Panik!
Gut, Ihnen schwirrt jetzt der Kopf, aber merken Sie sich einfach für den Moment drei Dinge: Lothar II. war Namensgeber für dieses Land, das „Lotharingien“, Lothringen, französisch „Lorraine“ hieß, die Landesgrenzen von heute spielten keine große Rolle, sodass Köln, Duisburg oder Besançon ebenfalls bequem Platz darin fanden. Und dann war es außerdem so, dass auch dieses Regnum später noch einmal geteilt wurde. Dieses Mal allerdings in Nord (Niederlothringen mit Köln, Lüttich und Utrecht) und Süd (Oberlothringen mit Trier, Metz und Verdun).
Das gegenwärtige Lothringen geht auf Oberlothringen zurück, folgt mehr oder weniger bis heute im Westen, also in Frankreich, den alten Grenzen und endet östlich ziemlich genau am Rhein.
Grenze ist nicht gleich Grenze
Interessant ist allerdings der Verlauf der Kultur-Sprachgrenze durch das Land: Sie folgt ganz anderen Regeln und durchschneidet das Gebiet fast willkürlich von Süden nach Nordwesten. Anders gesagt: Rechts davon wurde eher deutsch bzw. alemannisch gesprochen und links französisch, was gleich noch interessant werden wird.
Was denn jetzt?
Auf jeden Fall wurde die Provinz 1871 dem Deutschen Reich zugesprochen (Amtssprache wurde Deutsch), ging dann mit Ende des Ersten Weltkriegs wieder zurück nach Frankreich (Amtssprache Französisch), wurde 1940 von der deutschen Wehrmacht besetzt und dementsprechend als Teil des „Deutschen Reiches“ betrachtet (Amtssprache Deutsch), bevor sie dann 1944 zurückerobert und wieder rechtmäßiger Teil Frankreichs war (Amtssprache Französisch).
So ein Pech aber auch …
Warum wir Ihnen dieses komplizierte Hin und Her überhaupt erzählen?
Na ja, die Quiche, allen voran die Quiche Lorraine, zählt immerhin zu den berühmtesten und beliebtesten Erzeugnissen der französischen Küche, ist allseits beliebt und gilt sozusagen als der Inbegriff der typisch französischen Klein- oder Vorspeise. Und die Franzosen sind – ebenso wie natürlich die Lothringer selbst – vollkommen zu Recht unheimlich stolz auf ihre nationale Köstlichkeit, die mittlerweile offizielles Kulturgut Frankreichs geworden ist.
Das können und sollen sie ja auch sehr gerne sein, trotzdem ist ihnen bei der Namensgebung ein kleiner Fehler unterlaufen, denn weil sie die Sprachgrenzen wohl doch nicht so gut unter Kontrolle hatten, leitet sich das sehr französisch klingende Wort „Quiche“ von dem fränkisch-lothringisch-deutschen Wort Kichel bzw. Kuechel ab, das dem hochdeutschen Wort „Kuchen“ entspricht. Allerdings ist so was bei all dem sprachlichen und politischen Durcheinander schon schnell mal passiert …
Klar geregelt
Auf jeden Fall handelt es sich bei einer Quiche Lorraine um einen in einer flachen, runden Form gebackenen herzhaften Mürbeteig, der eine Auflage (Migaine) aus Eiern, Crème fraîche und Speck trägt und im Ofen ausgebacken wird.
Natürlich gibt es auch Varianten, aber die Franzosen würden hierzu dann eher „Tarte“ sagen, weil sie ja so stolz auf ihre deutschstämmige Originalbezeichnung sind. Wir finden das umso witziger, als sie also durchaus ein original französisches Wort besitzen, es aber auf gar keinen Fall für ihre lothringische Delikatesse verwenden wollen.
Verstehe einer unsere guten westlichen Freunde …