Herkunft und Besonderheiten des Pochierens

Die Freundschaft zwischen Mensch und Ei ist sehr alt, nicht zuletzt, weil man so leicht an sie herankam. Hatte man welche gefunden, dann gab es im Grunde nur drei Optionen, sie zu essen: Zunächst einmal roh, später wurden sie in der Schale gekocht oder ohne Schale gebraten.
Auf die Idee, ungeschälte Eier mit heißem Wasser in Verbindung zu bringen, kam man wohl erst zur Zeit der Renaissance, als reiche Kaufleute und Adelige nach möglichst ausgefallenen und ungewöhnlichen Gerichten suchten.
Pochierte Eier gelten auch heute noch als besonders ausgefallen, was vor allen Dingen daran liegen dürfte, dass sie gar nicht so leicht herzustellen sind. Am Tisch sind sie natürlich sehr schön und besonders praktisch, weil man sich schlicht nicht um die lästige Eierschale zu kümmern braucht. In der Küche dagegen kann ein Koch zeigen, was er so kann. Das darf nicht als Angeberei, aber durchaus als Leistungsbeweis seiner Kochtechnik angesehen werden: Wer Eier zuverlässig pochieren kann, versteht seinen Job.
Was beim Pochieren passiert

Unter Pochieren versteht man ganz allgemein die Methode, bei der die jeweiligen Zutaten bei Temperaturen deutlich unter dem Siedepunkt (also vor dem Erreichen von 100 Grad Celsius) in heißem Wasser oder einer wässrigen Flüssigkeit gegart, gar gezogen bzw. abgezogen werden. Hierbei setzt die Denaturierung der enthaltenen Eiweiße zwar schon ein, der Prozess verläuft aber langsam und schonend. Das kann besonders bei sehr empfindlichen Zutaten wie Fisch, zartem Gemüse und auch Geflügel eine gute Idee sein.
Beim pochierten Ei, das auch als „verlorenes Ei“ bekannt ist, ist dieser Prozess besonders gut sichtbar, weil das Eiklar stockt und das innen liegende Eigelb danach sicher zusammenhält. Das Eiweiß trübt sich ein und umschließt das Dotter.
Um die Denaturierung ein bisschen zu beschleunigen und den Prozess somit gelingsicherer zu machen, wird dem heißen Wasser oft etwas Essig beigefügt, der den pH-Wert senkt. Das unterstützt das Stocken des Eiweißes.
Worauf es beim Pochieren von Eiern ankommt
Neben großer Sorgfalt, einigem Geschick und der richtigen Wassertemperatur, die irgendwo zwischen 82 und 88 Grad Celsius liegen sollte, spielen vor allem vier Aspekte eine besondere Rolle:
- Je frischer das Ei ist, umso fester und kompakter ist auch das Eiklar. Es legt sich zuverlässig um das Eigelb und bildet vor allem keine langen Stränge, wenn es mit dem heißen Wasser in Berührung kommt.
- Das Ei sollte niemals direkt in das Wasser geschlagen werden, weil die hierbei entstehende Energie zu groß wäre. Das Ei würde sich verformen, eventuell sogar untergehen oder schlimmstenfalls platzen, was ja so gar nicht Sinn der Sache ist.
- Schlagen Sie das möglichst frische Ei also immer zuerst in eine Tasse auf und achten Sie darauf, dass das Dotter dabei keinen Schaden nimmt. Erst danach lassen Sie das Ei in aller Ruhe in das heiße Wasser gleiten und berühren es erst wieder, wenn Sie es herausnehmen möchten.
- Beachten Sie, dass das Eiklar erst ab ca. 70 Grad Celsius gerinnt, während das Eigelb hiermit schon ab 65 Grad Celsius beginnt. Weil die Hitze von außen nach innen ins Ei dringt, sind also die wenigen Sekunden entscheidend, die vor dem Stocken des Eigelbs und nach dem Gerinnen des Eiklars liegen, damit Sie kein hart gekochtes Ei im Wasserbad bekommen.
Was man noch beim Pochieren beachten sollte
Ganz hilfreich können drei weitere Maßnahmen beim Pochieren sein:
- Versetzen Sie das Siedewasser in eine strudelartige Bewegung, bevor Sie das Ei hineingeben. Dadurch denaturiert das Ei zwar nicht besser oder schneller, man verhindert aber, dass sich die Eiklare verschiedener Eier miteinander verbinden, wenn man mehrere Eier gleichzeitig pochieren will.
- Ein bisschen Essig beschleunigt wie erwähnt die Denaturierung. Das ist besonders für die ersten kritischen Sekunden wichtig, bis das Eigelb sicher im gestockten Eiweiß „verpackt“ ist. Als Faustformel gilt: ca. zwei Esslöffel Essig pro Liter Wasser. Mehr hilft nicht mehr, sondern lässt das Ergebnis nur sauer schmecken.
- Nach dem Garziehen, das etwa drei bis höchstens vier Minuten dauert, müssen die pochierten Eier aus dem Wasser. Benutzen Sie hierfür lieber keine Suppenkelle, sondern besser einen Schaumlöffel, damit möglichst wenig Wasser am Ei bleibt. Nötigenfalls kann man den Schaumlöffel kurz auf Küchenpapier aufsetzen, um überschüssiges Wasser zu entfernen.
- Besonders ambitionierte Köche schneiden überschüssiges und faseriges Eiklar nach dem Abtupfen vorsichtig ab, was aber nur optische Gründe hat.
Beliebte Rezepte mit pochiertem Ei

Dieses geniale Auslaufen eines frischen, warmen Eigelbs über den Rest der Speise hat mindestens so viele Freunde auf der Welt, wie es Rezepte mit pochiertem Ei gibt. Zwei deutsche Klassiker sind zum Beispiel „verlorene Eier auf Blattspinat“ oder Omas Klassiker „verlorene Eier mit Senfsoße“. Aber es gibt noch viel mehr! Deswegen hier eine kleine und ganz sicher unvollständige Aufzählung:
Pochierte Eier Beaugency auf gekochten, in Butter gedünsteten Artischockenböden, mit Sauce béarnaise und einer Scheibe Rindermark bedeckt.
Pochierte Eier Joinville auf rund geschnittenen Croûtons mit Garnelenschwänzen und -soße.
Pochierte Eier Rossini auf Blätterteigböden mit gebratener Gänseleber, Madeirasoße und Trüffeln.
Pochierte Eier Villeroy, die mit Sauce Villeroy überzogen, paniert und mit Tomatensoße serviert werden.
Shakshuka, Schakschuka: pochierte Eier in Tomaten-Chili-Zwiebelsoße.
Çılbır, ein türkisches Gericht aus pochierten Eiern auf Joghurt, die mit gewürzter, geschmolzener Butter serviert werden.
Eggs Benedict auf Toast oder Muffins mit Schinken oder Speck und Sauce hollandaise. Gerade die Eggs Benedict erfreuen sich im angelsächsischen Raum von Großbritannien über die USA und Kanada bis nach Australien größter Beliebtheit, weswegen es sie in zahllosen Varianten gibt.
Geschummelte, falsche pochierte Eier
So leid es uns tut, aber ein pochiertes Ei ist und bleibt, was es ist, nämlich sorgfältig von Hand zubereitet und auf seine Weise einzigartig. Wer irgendwelche Schälchen, Gadgets oder Maschinchen zum Einsatz bringt, um ein besonders perfektes Ei zu produzieren, hat nicht verstanden, dass gerade in der perfekten Unperfektion der Zauber eines pochierten Eis liegt. Es ist, als würde man ein Fahrrad mit Stützrädern fahren: Es funktioniert, aber jeder kann sehen, dass man geschummelt hat.
Auch große Küchen nehmen es leider mit dem pochierten Ei oft nicht so ganz genau und setzen schlichtweg weich gekochte und danach geschälte Eier als „verlorene Eier“ auf die Karte, was außer der Bezeichnung überhaupt gar nichts mit pochierten Eiern zu tun hat.