Ligurien – Sizilien – New Jersey
Nicht schlecht: Als der große Frank Sinatra am 14. Mai 1998 seinen letzten Atemzug tat, hatte er das – zumindest gemessen an seinem doch recht intensiven Lebensstil – stolze Alter von 83 Jahren erreicht. Über den Künstler selbst wollen wir an dieser Stelle aber gar nicht sooo viel erzählen, für uns sind im Moment eigentlich nur zwei Sachen interessant:
Zum einen war er der Sohn italienischer Eltern, die um die Jahrhundertwende an die Ostküste der USA ausgewandert waren. Und er hatte, wenn man das mal so sagen darf, ziemlich interessante Eltern: Sein Vater Anthony Martin stammte aus Sizilien, war Profiboxer, Feuerwehrmann und Kneipier, und seine Mutter Natalina übte den höchst ehrenwerten Beruf einer Hebamme aus und war aktives Mitglied in der demokratischen Partei von Hoboken, New Jersey. Natalina kam nicht aus Sizilien, sondern – und hier wird es interessant – aus dem Örtchen Lumarzo, das in der Nähe von Genua, also in Ligurien, also in Norditalien am Meer liegt.
Wer Pesto nicht kennt, kennt Italien nicht
Das bringt uns ohne weitere Umwege zum Pesto (man darf übrigens der oder das Pesto sagen, beides ist erlaubt). Vielleicht weil Sohn Frank eine wirklich leidenschaftliche und lebenslange Begeisterung für Mamas Pesto genovese hegte, machte er sich zum 75. Geburtstag die kleine Freude und lieh sein Konterfei einem Hersteller italienischer Spezialitätenkonserven, der eine Wahnsinns-Werbekampagne hinlegte und Sinatra noch ein schönes Stück reicher machte. Das viel entscheidendere Ergebnis war allerdings, dass mehr oder weniger von genau diesem Augenblick an das Pesto in den USA einen Siegeszug feierte, der wahrlich seinesgleichen suchte: Von nun an war das Pesto in Gläsern in den USA der absolute Hit und trat sehr deutlich aus seinem Schattendasein als Produkt hervor, das im Grunde nur von italienischstämmigen US-Bürgern und Feinschmeckern gekauft wurde.
Vielleicht war es neben dem italienischen Flair vor allem die Einfachheit der Paste, die die wenigen Zutaten zu einem höchst aromatischen und delikaten Ganzen verband – so wie es für sehr viele Gerichte der (nord)italienischen Küche typisch ist – und die einfach unglaublich gut zu Nudeln schmeckte.
Der Klassiker
Viel kommt nämlich eigentlich nicht rein in ein waschechtes Pesto genovese, es muss nur besonders gut und hochwertig sein: frisches Basilikum, Knoblauch, Salz, Pinienkerne, zwei Sorten (!) Käse, manchmal ein bisschen Butter und dann natürlich bestes Olivenöl, das viel mehr Einfluss auf das Gesamtergebnis hat, als man spontan vielleicht so denkt.
Übrigens gibt es einen kleinen, aber entscheidenden Unterschied, denn ein „Pesto genovese“ enthält zwingend Basilikum, Knoblauch, Parmigiano, Pecorino, extra natives Olivenöl, Pinienkerne und Salz, wohingegen in ein „Pesto alla genovese“ so ziemlich alles reindarf, was grün ist und irgendwie nach Öl, reifem Käse und Nüssen schmeckt.
Der Vorgänger
Die Idee, frische Kräuter und Knoblauch mit ein bisschen Käse, irgendetwas Nussigem und Öl zu verrühren, ist allerdings weder besonders originell noch wirklich neu; schon die Römer liebten ihr „Moretum“, das sie aus Schafskäse (oder alternativ aus geriebenen Walnüssen), Olivenöl, Weinessig, Salz, Knoblauch, Selleriegrün, Weinraute und Koriander in einem Gefäß herstellten, das sie „Moretarium“ nannten und das unserem heutigen Mörser schon ziemlich nahekam. Es scheint in der Tat so zu sein, dass das Moretum in unseren Breiten das erste verbürgt auf der Basis von Öl zubereitete Pesto war. Und für die Folgezeit darf man sehr sicher davon ausgehen, dass so ziemlich überall, wo frische Kräuter, Knoblauch, Käse, Pinienkerne, Nüsse oder Mandeln und Olivenöl zur Verfügung standen, fleißig gerieben, gerührt und genossen wurde.
Alles kann, nichts muss
Hier liegt auch der Grund dafür, dass es das eine Pesto überhaupt nicht gibt und auch gar nicht geben kann, denn wo kein Basilikum wuchs, dafür aber Petersilie und Majoran, nahm man eben diese her und rührte kurz entschlossen nach einem anderen, eigenen Rezept. Und wenn man – im Gegensatz zu den Liguriern – keinen Parmigiano und keinen Pecorino hatte, dann kam eben Grana Padano oder sogar auch reifer Gouda zum Einsatz (an den man in den Hafenstädten Italiens ziemlich leicht herankam, weil er schon früh ein beliebtes Handelsgut war).
In Südfrankreich behaupten sie übrigens beharrlich, ihre „Pistou“ oder „Sauce au Pistou“, die aus Basilikum, Knoblauch, Mandeln, Olivenöl, Gruyère, Salz, Pfeffer und Zucker hergestellt wird (je nach Rezept kommen noch Tomaten, Petersilie oder Chilischoten hinzu), hätte mit dem italienischen Pesto überhaupt nichts zu tun und sei vollkommen unabhängig entstanden. Vielleicht sollten die stolzen Provenzalen sich einfach mal den Namen der öligen Köstlichkeit auf der Zunge zergehen lassen: In Italien heißt sie Pesto und in Frankreich Pistou. Was für ein Zufall das doch ist …
Kurz und klein
Wie gesagt, bis auf das Pesto genovese gibt es kein festgelegtes Rezept: Bärlauch, Rucola, Petersilie, Mandeln und getrocknete Tomaten (Pesto alla siciliana), Walnüsse, Oliven, Koriander, Pilze, Kürbiskerne, Paprika und Peperoncino (Pesto alla calabrese) und jede nur denkbare Kombination von allem ergeben am Ende ein Pesto, solange die Paste kalt angerührt wird und Öl enthält. Veganer ersetzen übrigens sehr gerne den Käse durch Misopaste oder Hefeflocken und das entsprechende Ergebnis darf sich mit gleichem Recht Pesto nennen. Denn ein kurzer Blick ins Vokabelheft macht schnell klar, worauf es beim Pesto in Wahrheit ankommt: Pestare bedeutet „zerstampfen“, und solange zerstampft und kalt gerührt wird, ist so ziemlich alles erlaubt.
Besonders wertvoll
Aber die Ligurier nehmen die Sache nun mal besonders ernst und haben „ihr“ Pesto in die Liste der „Prodotti agroalimentari tradizionali liguri“ (traditionelle landwirtschaftliche ligurische Produkte) eintragen lassen. Und in ganz Italien führen sie seit 2007 regelmäßig eine mehr oder weniger offizielle Weltmeisterschaft durch, die in schöner Regelmäßigkeit das authentischste Pesto des Jahres kürt.
Auch Europa hat sich mittlerweile eingeschaltet und prüft, ob Pesto nicht sogar zum immateriellen Weltkulturerbe zählen sollte. Nicht schlecht für eine kalte Kräuter-Öl-Paste.