Kein Fisch am Meer?
Da kann man sich schon ziemlich wundern: Obwohl die „Valencianische Gemeinschaft“, die sich auch „Valencianisches Land“ nennt, direkt an der Ostküste Spaniens liegt und somit über mehr als 300 Kilometer Küstenlinie verfügt, enthält das typischste Gericht der Region, die Paella, überhaupt keinen Fisch und keine Meeresfrüchte – zumindest nicht im Originalrezept. Warum das so ist? Nun, zwar liegt die Landeshauptstadt Valencia direkt am Meer, ihr früherer Ruhm und ihre Größe verdankt die Hafenmetropole aber eher dem weltweiten Seehandel, also dem Umschlag von Gütern aus aller Herren Länder und praktisch gar nicht irgendwelchen besonders erwähnenswerten Fischereiflotten.
Vielmehr war und ist die gesamte Region ausgesprochen landwirtschaftlich geprägt, was einerseits heißt, dass es Getreideprodukte, vor allem Reis, in Hülle und Fülle gab und gibt. Andererseits legte die hiesige hart arbeitende und nicht gerade wohlhabende Bevölkerung sehr großen Wert darauf, mit möglichst wenig Aufwand und zu sehr überschaubaren Kosten möglichst schnell satt zu werden: Reis, Tomaten, Bohnen, Hühnchen, Kaninchen, manchmal auch Schnecken und in den älteren Rezepten auch das Fleisch der immerhin bis zu 300 Gramm schweren Westscher-Maus waren und sind die Hauptzutaten. Nicht besonders teuer und auch ziemlich leicht zu bekommen, wenn man ohnehin so gut wie den ganzen Tag auf Feldern, Äckern und wassernahen Wiesen unterwegs war.
Mahlzeit!
Noch heute ist eine echte Paella nicht als Abendessen gedacht – gute spanische Köche stellen sie abends gar nicht erst her –, sondern als reichhaltiges Mittagsmahl, das man so ungefähr gegen 15 Uhr zu sich nahm. Der Vorteil dabei war und ist, dass nach dem üblicherweise ausgesprochen übersichtlichen Frühstück eine höchst reichhaltige Speise auf den Tisch kam, die bis zum Abend und vor allem zur Nachtruhe hin gut verdaut werden konnte, sodass gegen Abend dann ein bisschen Obst, Oliven, Wein und Brot vollkommen ausreichten.
Flach ist beautiful
Paella also. Genau genommen bezeichnet der Begriff eher die recht flache und dafür umso breitere Pfanne aus Stahl, Guss oder Eisen (die schon die Römer „patella“ nannten). Aber weil das darin zubereitete Gericht so überaus populär war, nannte man fortan kurzerhand das Essen genauso wie das Behältnis.
Viele spanische bzw. valencianische Haushalte besitzen übrigens mehrere Paellas, weil eine der wenigen, aber ausgesprochen wichtigen Regeln für die Zubereitung lautet, dass der Reis und alles, was darinliegt, eine Höhe von vier Zentimetern keineswegs übersteigen darf. Kochte man also für wenige Personen, war eine kleinere Pfanne ideal, kamen mehr Gäste, wurden auch die entsprechenden Geräte immer größer (im Durchmesser – die Höhe musste ja immer dieselbe sein).
Der Reis macht’s
Entscheidend für das Gelingen einer Paella ist der Reis. Vor allem südlich von Valencia (also der Stadt) wird eine besondere Reissorte angebaut, die sich wie sonst keine zweite für die Zubereitung einer guten Paella eignet: Arroz bomba. Im Gegensatz zum Beispiel zu Risotto-Reis enthält diese Sorte besonders wenig Stärke, was in unserem Fall eine sehr gute Sache ist, weil eine anständige Paella – bei all dem Köcheln, Garen, Schmoren und Anbraten – auf gar keinen Fall eine klebrige, sondern ganz im Gegenteil eine fluffig-leichte Konsistenz haben soll. Machen Sie also nicht den Fehler, Risotto-Reis zu verwenden! Wenn Sie keinen Arroz bomba bekommen, würde Langkorn-Reis einen adäquaten Ersatz darstellen.
TIPP: Als Faustformel gilt, dass Arroz bomba etwa die doppelte bis zweieinhalbfache Volumenmenge an Wasser benötigt, also für eine Tasse Reiskörner zwei bis zweieinhalb Tassen Wasser. Wenn das Wasser kocht, sollte die Hitze verringert werden, damit das Wasser nicht verkocht, ehe der Reis gar ist.
So wird das was
So gesehen kennen wir jetzt schon zwei unumstößliche Regeln, nämlich die mit der Höhe und die mit dem Reis. Fehlen eigentlich nur noch zwei weitere: Eine Paella wird – zumindest, nachdem der Reis zugegeben wurde – nicht mehr umgerührt. Sich daran zu halten, entscheidet maßgeblich über Wohl und Wehe der späteren Qualität des Gerichts. Außerdem muss der Koch gut aufpassen – und auch ein bisschen mutig sein –, denn wenn der Reis gar und die Flüssigkeit verkocht ist, sollte der Boden des Schmorgerichts noch ein bisschen anbacken oder anbraten, damit sich abschließend ein paar finale Röststoffe bilden und das Ganze ein bisschen mehr – nun ja – Biss bekommt. Diese von Kennern hochgeschätzte, schmackhafte und tatsächlich sehr feine Kruste nennt man „socarrat“, falls Sie das später mal zum Angeben brauchen sollten …
Alles in eine
Etwas so Geniales wie Paella musste natürlich irgendwann dazu führen, dass sich aus dem Originalrezept zahlreiche, um nicht zu sagen zahllose Varianten entwickelten. Es gibt sie vegetarisch, nur mit Fisch, nur mit Krustentieren, mit Fisch und Krustentieren, nur mit (hellem) Fleisch, mit Meeresfrüchten aller Art, mit Meeresfrüchten und Fleisch, und in so manchem Rezept wird zum Einfärben des Reises (wozu üblicherweise Safran zum Einsatz kommt) Tintenfisch-Tinte verwendet. Und bei der – ebenfalls recht beliebten – „Fideuà“ werden, man höre und staune, anstatt von Reis sogar kleine Nudeln verwendet …
Der nächste Urlaub ist noch fern?
Wenn wir es nun geschafft haben, Ihren Appetit anzuregen, Sie aber demnächst nicht nach Spanien kommen, dann finden Sie hier zwei sehr köstliche Rezepte, um eine Paella selbst zu kochen.