Weißer Nougat: wie alles anfing

Vielleicht ist es eine gute Idee, sich gleich zu Beginn dieses Textes von dem Gedanken zu lösen, dass Nougat (oder Nugat oder Noisette) immer braun ist und Kakao enthält – etwa so, wie wir uns besonders weiche Schokolade vorstellen würden. Natürlich gibt es den braunen, schokoladigen Nougat (man kann übrigens auch das Nougat sagen), aber der allergrößte Teil dessen, was wir Nougat nennen, ist weiß und kommt ganz und gar ohne Schokolade aus.
Bei näherer Betrachtung ist das auch ganz logisch, weil die Wurzeln der sogenannten Konfektmasse irgendwo im Westen Asiens oder in Persien liegen, und das ist nun mal eine Gegend, in der es einfach überhaupt keinen Kakao gab. Mandeln, Pistazien, Haselnüsse und Honig kamen dagegen in Hülle und Fülle vor und an Hühnereiern herrschte ebenfalls kein Mangel.
Was lag da näher, als ein bisschen Eiklar aufzuschlagen, Nüsse zu rösten und dann zu vermahlen und beides mit reichlich frischem Honig zu vermischen, bis das Ganze eine weiche bis halbfeste Konsistenz erreicht hatte? Noch dazu ließ sich die Masse leicht zerkauen und war darüber hinaus auch besonders gut und lange haltbar, weil der im Honig enthaltene Zucker ein erstklassiges Konservierungsmittel abgab. Auch getrocknete Früchte ließen sich wunderbar beimischen, was dem Ganzen noch ein bisschen mehr kulinarischen Reiz verlieh.
Das erste schriftlich überlieferte Rezept für weißen Nougat fiel übrigens unter die Bezeichnung „Nãtif“, stammt aus dem 15. Jahrhundert und wurde in Bagdad aufgeschrieben.
Weißer Nougat hat viele Namen
Egal also, ob wir von Gaz, türkischem Honig, orientalischem Honig, niederländischem Nougat, Nougat Montélimar aus Frankreich, dem griechischen Mandolato, Turrón aus Spanien, Torrone aus der Schweiz und Italien oder auch Halva aus Asien oder Osteuropa reden: Sie alle sind eng miteinander verwandt und mehr oder weniger hell im Teig.
Allesamt sind sie nussbasiert (beim Nougat Montélimar sind es mindestens 30 % Samenkernanteil und der spanische Turrón schreibt gar 50 % Mandelanteil vor) und entstehen immer ganz und gar ohne den Einsatz von Kakao.
Dunkler Nougat: von Kakao-Einfluss bis Nutella

Die Sache mit dem dunklen Nougat kam erst sehr viel später im westlichen Europa auf: Kakao wurde als erstklassiger Importartikel aus Südamerika vergleichsweise leicht verfügbar und über die Kombination von Zucker, Fetten und Kakao – Schokolade – muss man heute nicht mehr viele Worte verlieren. So gesehen kann man ruhigen Gewissens sagen, dass es in Europa zuerst die Schokolade war, die sich größter Beliebtheit erfreute. Der dunkle Nougat kam erst danach.
Dunkler Nougat wurde aus der Not geboren
Um zu verstehen, warum das so ist, hilft ein kurzer Blick in die Geschichtsbücher. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren England und Frankreich erbitterte Konkurrenten, um das mal so zu sagen – man könnte sie auch als ziemlich beste Feinde bezeichnen. Napoleon Bonaparte brach einen handfesten Wirtschaftskrieg vom Zaun, mit dessen Hilfe er die französische Wirtschaft schützen und die Kolonialmacht England an den Verhandlungstisch zwingen wollte. Die „Kontinentalsperre“ von 1806 bis 1813 sollte verhindern, dass englische Waren nach Kontinentaleuropa gelangten, was sich natürlich auch auf die Kolonialwaren auswirkte, die England aus aller Welt herbeischaffte. Unter anderem war es dann auch der Kakao, der nicht mehr so recht seine Wege nach Kontinentaleuropa fand und zunehmend zur Mangelware wurde. Besonders ärgerlich war das für die Konditoren im italienischen Piemont, vor allem in Turin, die sich seit Langem mit der Herstellung erstklassiger Schokolade einen Namen gemacht hatten: Ihnen ging allmählich der Kakao aus und sie mussten sich dringend etwas einfallen lassen.
Wie gut, dass eine gewisse Familie Ferrero auf den Plan trat, die sich ebenfalls mit dunklem Nougat befasste, der schokoladigen Grundmasse des Nougats aber entschieden mehr Fette beimischte. So kam sie auf den Trichter, eine Nougatcreme auf den Markt zu bringen, die – genau wie der Nougat selbst – Nüsse als wesentlichen Bestandteil im Namen trägt. Nutella war geboren!
Grundlage für Nougat: Nüsse

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde in Europa der Kakao knapp und die Turiner Konditoren kratzten sich ratlos am Kopf, weil sie mit dem bisschen, das sie erreichte, keine anständigen Mengen an Schokolade mehr herstellen konnten. Nach einigem Hin und Her kamen sie schließlich auf die geniale Idee, sich einmal in ihrer Umgebung ein bisschen genauer umzusehen, stellten fest, dass überall die schönsten Haselnüsse an den Bäumen hingen, und entwickelten einen neuen Plan: Fortan nahmen sie geröstete Haselnüsse – manchmal auch Mandeln und/oder Getreide – her, rösteten und mahlten sie, vermischten sie mit Zuckersirup, fügten der marzipanartigen Grundmasse nur ein ganz kleines bisschen Kakaopulver und Butter hinzu und fertig war die neue Spezialität. Berühmtestes Beispiel dieser bahnbrechenden Idee ist der heute noch hochgeschätzte italienische Gianduja, der als Vater des klassischen dunklen Nougats gilt.
Sein erlesener Geschmack, das angenehme Mundgefühl und nicht zuletzt seine Verfügbarkeit als cremige, halbfeste oder auch bissfeste Masse prädestinieren den dunklen Nougat geradezu dafür, mit heller oder dunkler Schokolade überzogen, in Pralinen gefüllt oder in Kuchen gestrichen zu werden. Wahre Kenner genießen ihren Nougat, vor allem, wenn er in hohen Qualitäten kommt, dagegen am liebsten pur und in nur kleinen Mengen.
Nougat als Massenware
Selbst die billigen und industriell gefertigten Produkte, die mit den jeweiligen Originalen nicht mehr viel zu tun haben und mit Erdnüssen, Kunsthonig oder billigstem Glukosesirup hergestellt werden, dürfen sich Nougat nennen.
Und wenn Sie an Ihre Kindheit erinnert werden möchten: Auch der holländische Plombenzieher, diese in dünne Alufolie gewickelte, rautenförmige Süßigkeit, die wir als „Nappa“ kennen, gilt alles Ernstes als weißer Nougat (obwohl nicht das kleinste bisschen Nuss- oder Mandelmehl in ihr enthalten ist). Aber lecker war’s ja doch irgendwie.