Muss sein
Wenn man nicht gerade zum edlen Volk der Elben gehört und am liebsten Lembasbrot als Wegzehrung isst, wenn einem der Sinn nicht nach Keksen, Mürbeteig oder Shortbread steht, dann kommt man um den Einsatz von Backtriebmitteln nicht herum: Erst durch Hefen, Milchsäurebakterien oder bestimmte Zusatzstoffe aus dem faszinierenden Feld der Chemie entsteht eine luftig-fluffige Krume; erst durch die Entstehung von CO2 bilden sich die kleinen Bläschen, die einen Rührteig so schön aufgehen lassen und ihn zart und geschmeidig machen.
Hefe- und Sauerteige waren sehr lange das Mittel der Wahl, sie führten bei richtiger Teigführung zu den gewünschten Ergebnissen und brachten auch auf geschmacklicher Ebene diese spezifischen Aromen und das gewissen Extra mit. Der einzige große Nachteil war allerdings, dass Hefepilze und auch Milchsäurebakterien immer ganz schön lange brauchten, bis sie ihr Werk vollbracht hatten und der Teig endlich reif für den Ofen war.
Dann eben zweimal backen
Das nahm man eine ziemlich lange Zeit zwar gerne in Kauf und machte Brot und Kuchen in den allermeisten Fällen aus Sauerteig oder eben Hefeteigen, allerdings brauchte man neben der erforderlichen Geduld natürlich auch einen leistungsstarken Ofen – und den hatten entweder nur die Bäcker oder man teilte sich die Hitze eines Gemeinschaftsofens, der meistens nur einmal in der Woche angeworfen wurde.
Frische Backwaren waren aber an jedem Tag der Woche heiß begehrt, was den Bäckern einen klaren Platzvorteil sicherte; vor allem in den Städten, wo die Absatzmärkte groß und die Wege kurz waren. Kein Wunder also, dass die Bäcker nicht nur einmal am Morgen backten, sondern gegen Nachmittag oft noch ein zweites Mal, damit die Bürgerinnen und Bürger etwas ganz besonders Frisches zur Teatime auf die Teller bekamen.
Zumindest auf den britischen Inseln und allem voran in deren größeren Städten war das so, die frischen Hefebrötchen kamen direkt aus dem Ofen in die Körbe von Straßenhändlern und Lieferboten, die ihre Anwesenheit mit lautem Klingeln gut hörbar schon von Weitem ankündigten.
Toastbrötchen?
Das, was sie da feilboten, war zuvor aus einer Mischung aus Mehl, Salz, Zucker, Milch, Wasser, Hefe und Fett zu einem Teig gerührt und danach in einem runden Backblech mit runden, flachen Vertiefungen in flüssigem Fett ausgebacken worden. Im Ergebnis ähnelten die Flachbrötchen eher dem, was wir heute als Toastbrot kennen, und sie wurden vor dem Verzehr üblicherweise auch angeröstet (meistens wurden die Brötchen schon beim Bäcker aufgeschnitten).
Hefeteig und Toastbrot? Wo sind denn die Muffins geblieben, werden Sie sich vielleicht fragen. Ganz einfach: Die Brötchen, die wir hier gerade beschrieben haben, hießen und heißen auch heute noch Muffins (in den USA zur besseren Abgrenzung gegenüber dem Nationalgericht „English Muffins“). Der ja schon etwas seltsame Name rührt wohl vom altfranzösischen „moufflet“ her, was übersetzt in etwa „weich“ bedeutet, womit schon sehr viel über das Gebäck ausgesagt wird.
Unbegrenzt möglich
Machen wir also dermaßen vorinformiert den Sprung in die USA, wo die Muffins seit Langem als geradezu kulturstiftend gelten und erst in den frühen 2000er-Jahren in ihrer Popularität durch die Cupcakes abgelöst wurden.
Die englischen Siedler brachten natürlich so einiges an Küchenwissen und persönlichen Vorlieben mit in die neue Welt, ihre Muffins machten da keine Ausnahme. Das war ja auch alles gut und schön, allerdings setzten die US-Hersteller schon recht früh auf eine weitgehend industrielle Herstellung von Backwaren, was die Sache mit der Hefe und der Milchsäure als Backtriebmittel ziemlich radikal beendete.
Das neue Wundermittel hieß Natron (korrekt ist der Name Natriumhydrogencarbonat) und ermöglichte die erforderliche CO2-Bildung innerhalb von Sekunden, wenn es erstens mit Säure und zweitens mit Flüssigkeiten in Berührung kam. Der Prozess lief sogar dermaßen schnell ab, dass man immer erst sämtliche trockenen Bestandteile eines Teigs vermischen musste und separat alle flüssigen wie Milch, Ei, Öl, Buttermilch, Joghurt oder auch Essig (die die erforderliche Säure lieferten). Erst unmittelbar vor dem Backen wurde alles sehr schnell und äußerst kurz miteinander vermischt (zehn Sekunden gelten als absolut ausreichend), Früchte (noch mehr Säure), Nüsse oder Schokolade kamen erst im allerletzten Moment dazu.
Schneller, besser, sicherer
Das war zwar alles schon schön und gut, diese enorm engen Zeitfenster gefielen unseren Industriellen aber nicht so richtig, weil das Ganze, gerade wenn man im ganz großen Stil produzieren wollte, doch einigermaßen störanfällig war. Zum großen Glück der Menschheit, der Bäckereien und so ziemlich aller Hobbybäcker auf der Welt waren aber ein paar kluge Herren (einer davon war ein gewisser Justus Liebig) in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Trichter gekommen und hatten eine Triebmittel-Rezeptur entwickelt, die unser geliebtes Natron sozusagen noch in der Tüte mit einem phosphathaltigen Säuerungsmittel mischte (die korrekten chemischen Bezeichnungen ersparen wir Ihnen an dieser Stelle, Sie finden diese aber unter den Kürzeln E 450 a oder E 341 a). Und um zu verhindern, dass die beiden Substanzen schon beim geringsten Anteil von Feuchtigkeit in der Umgebung voller Tatendrang an die Erzeugung von CO2 gingen, gab man ihnen als wasserbindendes Trennmittel noch eine schöne Portion Speisestärke hinzu (so etwa 20 bis 60 %). Damit war das Backpulver erfunden.
Der doch recht hohe Anteil von schnöder Stärke im Backpulver macht übrigens auch klar, warum man Natron nicht 1 : 1 durch Backpulver ersetzen kann: Im Backpulver ist gar nicht so besonders viel Natron enthalten; man braucht also zwei- bis dreimal so viel Backpulver, als wenn man mit reinem Natron arbeiten würde.
Der findige Herr Doktor
Auf jeden Fall begann mit der massenhaften Herstellung von Muffins in den USA spätestens ab Ende der 1890er-Jahren auch der Siegeszug des Backpulvers in unseren Breiten: In Bielefeld dachte sich ein gewisser August Oetker, dass es doch eine gute Idee sein könnte, wenn man dieses Zauber-Backmittel in kleine Tütchen abfüllen und unter dem Namen „Backin“ für den privaten Gebrauch an ambitionierte Bäckerinnen verkaufen würde, weil allmählich der Anteil an privaten Backöfen in den Haushalten deutlich anstieg. Der Rest ist Geschichte.
Jetzt aber
Es gibt eine Unzahl unterschiedlichster Muffinrezepte, die sich schon bei den Zutaten unterscheiden. Wichtig für die richtige Teigkonsistenz sind aber immer (!) die Verwendung eines flüssigen Backfetts (Speiseöl oder geschmolzene Butter) und der richtige Säuregehalt in Kombination mit dem Triebmittel im Teig: Je saurer die flüssigen Zutaten wie zum Beispiel Buttermilch oder Joghurt sind, umso mehr Natron muss anstelle von Backpulver zugegeben werden.
Außerdem schreibt die „Muffinmethode“ zwingend vor, dass die festen Zutaten (Mehl, Backpulver, Salz, Zucker, Natron) und die flüssigen Zutaten (Flüssigfett, Milch, Buttermilch, Joghurt, Eier) zunächst jeweils getrennt voneinander vermischt werden. Erst danach wird die flüssige Mischung auf die trockene gegeben und der Teig in nur etwa zehn (!) Sekunden verrührt. Bei längerem Mischen würde zu viel Gluten entstehen und die CO2-Bläschen im Teig würden zu groß werden. Wenn der Muffin weitere Zutaten wie Nüsse, Schokostückchen oder die sehr beliebten Blaubeeren enthalten soll, werden sie erst ganz am Schluss zugegeben und ebenfalls nur sehr kurz untergerührt. Der Teig wird in speziellen Backformen aus Metall oder Silikon im Ofen gebacken, damit die typische Form entsteht.
Und sonst so?
Drei Staaten der USA haben Muffins bislang zu ihren offiziellen „State Muffins“ erklärt: Massachusetts den „Corn Muffin“ aus Maismehl (seit 1986), New York den Apfelmuffin (seit 1987) und Minnesota dann endlich den überaus beliebten Blaubeermuffin (seit 1988).
Muffins sind übrigens nicht identisch mit den meist deutlich süßeren Cupcakes. Diese haben zwar eine ähnliche Form wie Muffins, enthalten aber in der Regel keine Nüsse oder Ähnliches und werden mit einem „Frosting“ (Guss) aus Creme oder Zuckerguss dekoriert. Schon rein äußerlich erkennt man den Unterschied sofort am Topping, denn Muffins haben in der Regel keine Cremehaube (und brauchen solch einen Schnickschnack auch nicht).