Maronen

Jede Marone ist eine Ess- oder Edelkastanie, aber nicht jede Esskastanie ist eine Marone. Warum das so ist? Wo die Edelnuss ihren Siegeszug begann und wo er wie endete? Warum sie von der höchsten Delikatess-Stufe bei den Römern zum „Brot der armen Leute“ herabgestuft wurde und warum sie sich heute wieder zu höchsten Ehren aufgeschwungen hat? Und was dagegen eine Rosskastanie ist?

Besser was anderes

Fangen wir mit der vielleicht wichtigsten Information an. Wenn Sie so durch die herbstlichen Wälder wandern und das dann vielleicht auch noch unter Kastanienbäumen, dann sollten Sie Folgendes wissen: Deren Früchte, die Kastanien, können Sie zwar sehr gerne als Handschmeichler und Fingerwärmer in Ihre Jackentaschen stecken. Sie können dann auch später zu Hause unter Zuhilfenahme von Zahnstochern oder Streichhölzern diese lustigen Fantasietierchen basteln oder sie ganz einfach zu Dekorationszwecken verwenden. Auf keinen Fall sollten Sie aber auf die Idee kommen, diese Früchte zu essen – sie sind für den menschlichen Verzehr gänzlich ungeeignet.

Und das ist auch kein Wunder, denn immerhin ist die Rosskastanie, also die oben beschriebene Frucht, in keinster Weise mit der Esskastanie verwandt – wirklich gar nicht! Allein diese verblüffende optische Ähnlichkeit verbindet die beiden, sonst haben sie aber wirklich so gut wie gar nichts miteinander zu tun. Überlassen Sie die Rosskastanien also im Zweifel lieber Wild und Wald – die kommen viel besser damit zurecht. Vor allem die Wildschweine wissen sie wirklich zu schätzen.

Lieber die hier

Esskastanien also: Wie so oft liegt auch ihr Ursprung irgendwo in Kleinasien, von wo sie sich mehr oder weniger über den gesamten Mittelmeerraum ausgebreitet haben, und wenn man sich ihr natürliches Habitat heute so ansieht, dann fällt sofort auf, dass sie so gut wie keinen ernst zu nehmenden Gebirgszug aus eigener Kraft überwunden haben. An den Alpen und Pyrenäen blieben sie stecken, sie scheiterten am Kaukasus und an den Rhodopen und auch das Atlasgebirge schafften sie nicht. Alles, was möglichst moderates Klima und gemäßigte Niederschlagsmengen bot, fanden sie gut, aber zu allem anderen musste man sie geradezu überreden.

Und das taten sie auch, die alten Völker. Klar, die Römer und Griechen hatten es erst mal leicht, denn die Esskastanie wuchs und gedieh ohnehin prächtig in ihrem ursprünglichen Herrschaftsgebiet und Territorium rund ums Mittelmeer, aber mit der Expansion vor allem Roms in Richtung West und Nord sollte der immens praktische Baum auch jenseits der Alpen angebaut werden. Schließlich war das Holz erstklassig und die Früchte die reinsten Energiebomben. Wenn man also die Geduld aufbrachte und so um die 25 Jahre wartete, bis aus dem Keimling ein Früchte tragender Baum geworden war, dann konnte man sich fortan mit schöner Regelmäßigkeit auf tolle Ernten und volle Mägen freuen.

Aus gutem Grund auf schlechten Böden

So dermaßen sättigend war die Esskastanie, dass sie sich in manchen Gebirgsregionen, wo sich ansonsten kaum etwas Essbares anbauen ließ, geradezu zum Grundnahrungsmittel vor allem der ärmeren Bevölkerung mauserte und mehr oder weniger im großen Stil kultiviert wurde. Über Jahrhunderte haftete der Esskastanie folgerichtig der Ruf des „Brots der Armen“ an. Eine ganz schöne Fallkurve war das, denn die Römer und Griechen hatten ja immerhin ewig und drei Tage von ihren edlen Vorzügen geschwärmt und sie zur absoluten Delikatesse erklärt. Auf jeden Fall kam irgendwann auch Karl der Große dahinter, dass die Esskastanie ein sehr praktisches Lebensmittel ist, und verfügte gegen Ende des 8. Jahrhunderts in der berühmten Capitulare de villis, dass auf allen Krongütern, also auf sämtlichem Land, das dem Herrscher direkt und persönlich gehörte, Esskastanien anzupflanzen seien. Vom Mittelalter bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Edelkastanie dann in den Bergregionen Südeuropas das Hauptnahrungsmittel der Landbevölkerung, da sie anspruchsloser als beispielsweise Weizen ist und zur Kultivierung natürlich auch keine geraden Flächen oder gar Felder benötigte.

Schnell!

Und natürlich aß man die Früchte keineswegs immer am Stück. Sie wurden getrocknet, fermentiert, zu Mehl gemahlen, zu Flocken gehackt, geröstet oder auch sofort verzehrt, was alles sehr gute Ideen waren, denn: Besonders haltbar waren und sind Esskastanien aufgrund ihres relativ hohen Zucker- und Wassergehalts nicht und fangen recht bald das Verderben an, wenn man sich nicht schnell um ihre Haltbarmachung kümmert.

Wie lecker!

Übrigens enthalten die Nüsse absolut kein Gluten, was so lange eine gute Sache sein kann, bis man versucht, aus dem Mehl irgendetwas Brauch- bzw. Haltbares zu backen. „Nicht schlimm“, dachten sich die findigen Leute damals und nahmen das Esskastanienmehl flugs – und mit ein paar Küchentricks – zur Herstellung von Polenta, Gnocchi, Pasta, Brot und Gebäck her oder erzeugten so etwas wie eine Creme, die sich ebenfalls ganz gut aufessen ließ. Sehr berühmt – und von Hobbykonditoren auch ein bisschen gefürchtet – sind natürlich die langsam in Zuckersirup gekochten „Marrons glacés“. Und wenn Esskastanien nicht als köstliche Beilage oder als Füllung für Huhn, Truthahn, Schwein, Gans und Hase verwendet werden, dann machen sie sich tatsächlich in einer ganzen Menge ganz schön leckerer Süß- und Nachspeisen gut: Vermicelles, Mousse, Soufflé, Creme und Eiscreme. Ganz traditionelle Desserts wären Castagnacci (Kastanienbrot), Necci (Pfannkuchen), Pudding und Ballotte (in Fenchelwasser gekochte Kastanien).

Von den heiß geliebten gerösteten ganzen Nüssen – dampfend vom Grill aus der Tüte auf die Hand und zum Selberschälen – einmal ganz abgesehen …

Die Maronen

So. Jetzt haben wir uns lange genug um das eine wichtige Wort herumgedrückt und müssen uns endlich der Sache mit den Maronen etwas genauer annehmen. Nicht jede Esskastanie ist nämlich eine Marone – insofern sollte der Begriff auch nicht synonym verwendet werden –, allerdings ist jede Marone eine Esskastanie.

Anders gesagt wird die Bezeichnung „Maroni“ nicht einheitlich verwendet; häufig werden damit einfach besonders große oder wohlgeformte Früchte bezeichnet. In Frankreich ist „marron“ zum Beispiel für Früchte definiert, bei denen keine Samenhaut eingewachsen ist und bei denen im Schnitt weniger als 12 Prozent der Nüsse gespalten sind. In Italien wiederum werden mit „marroni“ besonders große Sorten von herausragender Qualität, länglicher Form und rötlicher, glänzender Schale bezeichnet. Sie sind süß, nicht gespalten, innen nicht hohl und leicht zu schälen.

Alter!

Wenn man sie denn lässt, dann erreichen Edelkastanien (also die Bäume, nicht die Früchte) locker eine Höhe von 25 bis 30 Metern und werden ohne größere Probleme 500 bis 600 Jahre alt. Ungefähr ab einem Alter von jugendlichen 100 Jahren wird ihr Stamm zwar allmählich hohl, das scheint dem Baum allerdings herzlich wenige Probleme zu bereiten, denn vor allem in Westeuropa geht es ihnen offenbar so gut, dass sie auch ohne einen knackigen Kern häufig 1.000 Jahre und mehr erreichen.