Da stimmt doch was nicht
Wenn man es ganz genau nimmt und den geltenden Verordnungen folgt, dann stellt man schnell fest, dass in Deutschland so gut wie überhaupt keine Marmelade gegessen wird. Andererseits hat aber wohl jeder das eine oder andere Glas im Schrank und wenn man sich im Geschäft die entsprechenden Regalmeter mit ihrer teils beeindruckenden Auswahl ansieht, dann kommen sehr bald berechtigte Zweifel daran auf.
Was also ist passiert? Nicht viel, außer dass das Produkt, das wir Marmelade nennen, laut EU als Konfitüre zu bezeichnen ist und dass der Begriff Marmelade für die winzige Produktgruppe reserviert ist, bei der ausschließlich Zitrusfrüchte und ihre Schalen mit Zucker veredelt und haltbar gemacht werden. Alle anderen Früchte führen sozusagen automatisch zur Konfitüre – egal ob am Ende Fruchtstücke enthalten sind oder ob das Ganze mehr oder weniger als Gelee daherkommt.
Und auch hier hat sich so einiges getan, denn früher durften in der fertigen „Marmelade“ keine Fruchtstücke enthalten sein; dieses Privileg war den „Konfitüren“ vorbehalten. Früher, wohlgemerkt – heute kann fast alles überall drin sein, solange man bloß die Finger vom Wort „Marmelade“ lässt. Die eigensinnigen Briten lieben dagegen ihre „marmelade“, die gerne mit den Schalen von Bitterorangen hergestellt wird. Sie waren auch der Grund, warum die EU so ziemlich alle Bezeichnungen für eingekochte Früchte auf den Kopf stellte und plötzlich alles Konfitüre, Fruchtaufstrich oder Gelee zu heißen hatte.
Na gut, dann eben Konfitüre
Aber der Reihe nach. Der Wunsch, frisch gepflückte Früchte möglichst lange haltbar zu machen, ist wahrscheinlich schon sehr, sehr alt. Das Problem bei der Sache war allerdings, dass man den hierfür zwingend erforderlichen Zucker noch nicht wirklich zur Hand hatte und in der Sache nicht so recht weiterkam. Die Römer scheinen zwar so etwas wie Pflaumenmus mit Rohrzucker hergestellt zu haben, aber der Durchbruch erfolgte erst sehr viel später, weil es ohne möglichst günstigen Zucker in größeren Mengen nun mal einfach nicht geht. Und weil dieser bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts auf sich warten ließ, musste man sich in Geduld üben.
Am Anfang war die – was?
Schon weil das Wort irgendwie so seltsam-sympathisch ist, sollten wir uns an dieser Stelle ein bisschen mit der sogenannten Pulpe befassen. Vereinfacht gesagt ist diese Masse in etwa das, was dabei herauskommt, wenn man die genießbaren Teile saftiger Früchte grob zerkleinert und ein bisschen kocht. Typischerweise besteht eine echte Pulpe immer aus einer einzigen Fruchtsorte. Wünscht man eine Misch-Konfitüre, dann würde man nicht die verschiedenen Früchte zusammen verarbeiten, sondern sich aus verschiedenen sortenreinen Pulpen bedienen.
Manchmal werden Pulpen konzentriert, indem man ihnen Wasser entzieht. Das ist im Grunde auch keine große Sache, allerdings darf das hieraus entstehende Endprodukt dann nur „Konfitüre“ und nicht „Konfitüre extra“ genannt werden. Und als ob der Begriff nicht so schon sperrig genug wäre, findet sich in schönstem Beamtendeutsch auch die Bezeichnung „Fruchtstückmasse“, womit tatsächlich schon alles gesagt ist.
Passiert schon mal
Im Gegensatz zum ebenfalls sehr oft verwendeten Fruchtmark wird eine Pulpe nicht passiert, sodass größere oder kleinere Fruchtstücke enthalten sind und auch im Endprodukt verbleiben. Logisch, dass eine Konfitüre – egal ob „extra“ oder nicht – umso fruchtiger schmeckt, je mehr Fruchtstücke enthalten sind. Allerdings gibt es da einen Aspekt, um den man sich gesondert kümmert: Weil die kleinen Samenkörner, wie sie in Himbeeren, Brombeeren, Johannisbeeren oder auch Heidelbeeren enthalten sind, praktisch nichts zum letztendlichen Geschmackserlebnis beizutragen haben und sich stattdessen sehr gerne in den Zahnzwischenräumen niederlassen, werden sie bei Konfitüren oft entfernt, indem man die Pulpe passiert und sich lieber des hierdurch entstehenden Fruchtmarks bedient.
Von wegen zeitraubend
Gut. Jetzt haben wir die Fruchtmasse, fehlen eigentlich nur noch Wasser und Zucker. Als der Gelierzucker noch nicht erfunden war, musste die Masse so lange reduziert, also gekocht werden, bis das Verhältnis zwischen Zucker, Frucht und Wasser zu einer streichfähigen Konsistenz geführt hatte – was je nach Menge ganz schön lange dauern konnte. Gleich zu Beginn weniger Wasser zuzugeben hatte sich als nicht zielführend erwiesen, denn erstens mussten natürlich die Aromen von Pulpe oder Mark herausgekocht werden und zweitens musste der ja meist reichlich eingesetzte Zucker (der gerne mal 60 % der Gesamtmasse ausmacht) erst einmal zuverlässig aufgelöst werden. Auch darum haftet der Zubereitung von Marmelade bis heute der Ruf an, eine zeitraubende und schweißtreibende Angelegenheit zu sein.
Tatsächlich trifft das aber überhaupt nicht mehr zu, weil vor ungefähr 60 Jahren der Gelierzucker auf den Markt und in die Regale kam, mit dessen tatkräftiger Unterstützung sich der Küchenzauber auf ein ziemliches Minimum reduzierte: Im Gelierzucker sind Pektine, Säuren und Zucker enthalten, die sich durch die Zugabe von Flüssigkeit beim Kochen in kürzester Zeit zu einem Gel verbinden.
Übrigens: Traditioneller Gelierzucker wird im Verhältnis 1 : 1 verwendet; es gibt aber auch Gelierzucker „extra“, der in den Verhältnissen 3 : 1 (also drei Teile Frucht auf einen Teil Gelierzucker) oder 2 : 1 verwendet wird. Dieser Gelierzucker hat einen höheren Gehalt an Pektin, also dem entscheidenden Geliermittel, und weniger Zucker. Auf diese Weise zubereitete Fruchtaufstriche werden weniger süß, da im Verhältnis zum traditionellen Gelierzucker nur die Hälfte bzw. ein Drittel der Zuckermenge zugesetzt ist. Durch die niedrigere Zuckerkonzentration ist allerdings eine längere Haltbarkeit nach dem ersten Öffnen nicht mehr wirklich gegeben, denn Zucker fungiert auch als Konservierungsmittel. Deswegen enthalten diese Gelierzucker auch ein Konservierungsmittel (meistens Sorbinsäure).