Maibowle

Viel, viel besser als ihr Ruf. Schädelspalter, Kopf im Koma, Nackenschlag: Was hat man der guten alten Maibowle nicht für zweifelhafte Spitznamen mitgegeben. Immerhin wurde sie ursprünglich als belebendes Heilgetränk ausgeschenkt, das zusätzlich noch ziemlich gut roch und schmeckte. Erst viel später kamen die Vandalen mit ihrem Schnaps, den sie in den ansonsten so schön parfümierten Wein kippten, oder den schlimmsten (Schaum-)Weinen, die man für möglichst kleines Geld aus dubiosen Quellen bezogen hatte. Dabei ist alles ganz einfach und ungefährlich, wenn man sich nur ein bisschen auskennt.
 

Im Nebel der Erinnerung

Knifflig. Einerseits ist allenthalben zu lesen, dass schon die Wikinger auf die belebende Wirkung von Waldmeister setzten und deshalb sehr gerne ihr Bier mit ihm parfümierten. Andererseits ist das nicht leicht zu überprüfen: Wenn sie sich schon die Mühe machten, schriftliche Belege (Runen) ihrer Gegenwart auf Erden zu hinterlassen (diese ritzten sie in der Zeit etwa zwischen 790 und 1070 nach Christus in Holz, Stein oder Metall), dann ging es dabei eher um Heldenruhm, Handel und Göttersagas. Etwas dermaßen Profanes wie ein nett duftendes Waldkraut fanden sie wohl nicht weiter erwähnenswert. 
Das ist allerdings nicht weiter schlimm, immerhin gab es ja fromme Mönche, Geschichtsschreiber und später dann auch große Erzähler, die sich mit leichtem Schaudern an die Taten und Vorlieben der Nordmänner erinnerten und jede Menge wichtige und unwichtige Details aufschrieben, zu denen ganz sicher auch das selbst angesetzte Duftbier zählte. Ob die dann alle so stimmten, darf gleichwohl ein bisschen bezweifelt werden. 

Schon besser

Auf jeden Fall aber wuchs auch damals schon der Waldmeister sehr früh im Jahr, beinhaltete auch dereinst bereits das berühmt-berüchtigte Cumarin und schmeckte und duftete ganz gut. Und es würde wohl keinen überraschen, wenn nicht auch die wilden Skandinavier schon auf den Trichter gekommen wären, dass das Kraut gesund, anregend, heilsam und insgesamt recht wohltuend ist. 
Ein bisschen verlässlicher wird die Sache mit der Geschichte der Maibowle so um das Jahr 854, als ein gewisser Wandalbert von Prüm, ein Benediktinermönch, kurz mal seine eigentliche Arbeit unterbrach (er war vor allem als Diakon, Theologe und Dichter beschäftigt) und der interessierten Nachwelt schriftlich hinterließ, dass man immer so ungefähr im Mai ein Getränk ausschenkte, das mit den Blättern der Schwarzen Johannisbeere, der Gundelrebe und eben des Waldmeisters angesetzt wurde. Diesen Sud nannte er „Maiwein“ und an anderer Stelle bloß „Maitrank“.
Allerdings nicht, um damit heiter-gelöst und leicht schwummerig in und durch den Mai zu tanzen – dafür war der Alkoholgehalt dann wohl doch etwas zu gering. Pater Wandalbert setzte vor allem auf die heilenden Kräfte seiner Mixtur und hatte wohl eher ihre therapeutischen Zwecke im Sinn: Sie sollte vor allem der Stärkung von Herz und Leber dienen. Und es ist durchaus denkbar, dass das Getränk nicht kalt, sondern erwärmt zum Munde geführt wurde, weil sich hierdurch die Inhaltsstoffe und Aromen besser entfalteten und wirkten.

Also?

Die Wikinger sind damit – wenn auch weitgehend unbelegt – im Spiel, ebenso ein früher Mönch aus der heutigen Eifel, das berühmte Waldkraut und vielleicht ein bisschen Wein. Fehlt eigentlich nur noch das entsprechende Wort, und hier brauchen wir einen wirklich weiten Sprung: Das, was wir heute Bowle nennen, hat seinen Ursprung – zumindest als Begriff – im 18. Jahrhundert und geht auf das englische Wort für „Napf“ (bowl) zurück. Das erste sozusagen verbürgte und verbriefte Rezept für eine Maibowle, wie wir sie heute kennen, kam dann noch ein paar Jahrzehnte später auf; im 19. Jahrhundert war die Maibowle mit Waldmeister der Renner bei zahllosen Anlässen und Gelegenheiten.

Über Bowle

Und nur, um das mal ein bisschen zu sortieren: Eine Bowle wird immer kalt serviert und basiert auf Sekt und/oder Wein. Darum ist eine Feuerzangenbowle in Wahrheit keine Bowle; ist das Gemisch warm oder heiß, dann spricht man von Punsch. Und der Ruf, ein veritabler Schädelspalter sein zu können, geht unter anderem darauf zurück, dass Früchte und Fruchtstücke bei der Vorbereitung des Getränks gerne in hochprozentigem Alkohol eingelegt und dann mit dem Getränk serviert wurden. Wer sich diese Früchte rausangelte (im Rheinland kennt man sie als Möppchen), war natürlich sehr schnell verloren. 

Sechs Schritte zur Glückseligkeit

Gut, diese Gefahr besteht bei einer waschechten Maibowle nicht, weil einfach keine Früchte hineingehören. Andererseits hat unser Freund, der Waldmeister, eine gehörige Portion Cumarin im Gepäck, und das hat bei übermäßiger Dosierung ganz klar das Zeug zum wirklich üblen Kater. Deshalb gelten für die Maibowle unbedingt sechs Gesetze:

  1. Verwenden Sie bei Wein und Sekt nur hochwertige Produkte.
  2. Fügen Sie auf keinen Fall Hochprozentiges wie Wodka, Rum oder Korn hinzu.
  3. Dosieren Sie den Waldmeister angemessen: Es geht nicht darum, eine möglichst giftgrüne Färbung zu erzielen – das gelingt Ihnen mit frischem Waldmeister ohnehin nicht. Sie möchten das feine, frische, fruchtig-vanillig-heuige Aroma und sonst nichts. Rechnen Sie also mit 3 bis 5 Stängeln (und nicht Bunden) pro Liter der fertigen Bowle.
  4. Hängen Sie den angetrockneten oder angefrorenen Waldmeister kopfüber (!) für höchstens 30 bis 40 Minuten in den spritzig-trockenen Weißwein.
  5. Achten Sie unbedingt darauf, dass die Schnittkanten des Krauts nicht mit der Flüssigkeit in Berührung kommen – hier lauern böse Bitterstoffe mit dem Potenzial für scheußlichste Kopfschmerzen.
  6. Entnehmen Sie den Waldmeister und füllen Sie die Bowle erst unmittelbar vor dem Servieren mit einem halbtrockenen Sekt auf.

Noch ein paar Tipps 

Lösen Sie zuerst etwas Zucker in dem Wein (Faustformel: 1 Esslöffel pro Flasche), bevor Sie den Waldmeister hinzugeben. Kühlen Sie den parfümierten Wein so gut wie möglich runter, bevor Sie den Sekt hinzufügen. Verzichten Sie auf Zitrone oder Minze – zumindest, wenn Sie das originale Rezept bevorzugen. Geben Sie keine Eiswürfel in die Bowle: Sie würden das Aroma verwässern. Servieren Sie Ihre Bowle (also das Gefäß) stattdessen besser auf reichlich Crushed Eis. Falls gewünscht, kann jeder Gast einen Eiswürfel ins eigene Glas geben. Für Gäste, bei denen das Auge gerne mittrinkt, können Sie einzeln tiefgefrorene Scheiben von Bio-Zitronen bereithalten, die im Glas hübsch aussehen und die Maibowle noch zusätzlich kühlen.

Viel Vergnügen und sehr zum Wohl!

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