Das hat ja vielleicht gedauert
Das ausgelassene Treiben, das Feiern, die Heiterkeit, Schlemmerei, Völlerei und Trinkerei, ohne die eine anständige Karnevalssaison garantiert nur halb so amüsant wären, sind kaum vorstellbar ohne die immense Bedeutung, die die katholische Kirche einst der Fastenzeit vor Ostern beigemessen hat.
Und sie haben echt früh damit angefangen, sich Gedanken zur Fastenzeit zu machen. Das war auch eine gute Idee, weil es mehr als 750 Jahre dauerte, bis alles klar und verbindlich geworden war: Das Ende des Karnevals markiert der Aschermittwoch, an dem die Fastenzeit beginnt; so weit, so gut. Der Termin hängt unmittelbar von der Lage des Osterfestes ab – wissen wir ja auch irgendwie alle. Aber ganz so einfach war das Ganze zunächst einmal nicht:
Im Jahr 325 wurde erst mal das Osterdatum verbindlich auf den ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmond festgelegt. Um 600 wurde dann verfügt, dass vor diesem Termin eine Fastenzeit von genau 40 Tagen stattzufinden habe, weil schließlich ja auch Jesus Christus 40 Tage in der Wüste zugebracht hatte, um Seele und Geist zu reinigen und sich zu sortieren. Nach dieser Regelung begann die Fastenzeit immer am Dienstag nach dem sechsten Sonntag vor Ostern.
1091 scheinen die frommen Gelehrten dann bemerkt zu haben, dass ein Sonntag ohne jegliches Vergnügen keine besonders angenehme Sache ist, und so wurden die sechs Sonntage vor Ostern explizit vom Fasten ausgenommen. Das ging natürlich auf Kosten der 40-Tage-Regelung, weswegen sie noch einmal scharf nachdachten und den Beginn der Fastenzeit um sechs Tage nach vorne auf den heutigen Aschermittwoch, den Mittwoch nach dem siebten Sonntag vor Ostern, vorverlegten. Das ist der Grund dafür, dass der Aschermittwoch immer genau 46 Tage vor dem Ostersonntag liegt. Alles klar?
Letzte Chance
Vereinfacht gesagt erlaubten die mittelalterlichen Fastenregeln nur eine Mahlzeit am Tag, in der Regel am Abend. Der Verzehr von Fleisch, Milchprodukten, Alkohol und Eiern war verboten – Fisch dagegen war erlaubt. Logisch, dass man es in der Zeit vor diesem institutionalisierten Defizit noch einmal so richtig krachen ließ, das Fett aus der letzten Schlachtung am Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag der Vorwoche möglichst sinnvoll verwendete – Stichwort Fettgebäck –, die noch vorhandenen Eier (die als „flüssiges Fleisch“ galten) nach Möglichkeit aufbrauchte und sogar ein paar Hühner schlachtete, mit deren Eiern man in der nächsten Zeit ja ohnehin nichts anfangen konnte und die man entsprechend nicht durchfüttern wollte. Die Vorräte mussten also aufgebraucht werden – und wenn man schon mal dabei war, leerte man gerne auch die Fässer mit denjenigen alkoholischen Getränken, die man keine weiteren sechs Wochen lang mehr lagern konnte. Bier zum Beispiel.
So gesehen konnte man an Fastnacht, also in der Nacht vor dem großen Fasten, nach Herzenslust essen und trinken. Und wenn es Sie interessiert: „Karneval“ leitet sich von „carnis levamen“ ab, was so viel wie „Fleischwegnahme“ bedeutet. „Fasching“ hingegen kommt vom Begriff „vaschanc“, was als „Fastenschank“, also der letzte Ausschank alkoholischer Getränke vor dem Beginn der Fastenzeit, zu verstehen ist. Die einen machten sich also eher Sorgen ums Essen und die anderen ums Trinken. Klassischer Kulturkampf.
Letztes Schlachtfest vor der Durststrecke
Noch einmal schnell zurück zu den Schlachttagen in der letzten Woche. Kurz vor der Fastenzeit machte man sich mit besonders großem Eifer über die Zutaten her, die dann erst mal in weite Ferne rückten, vor allem Fleisch, sämtliche Milchprodukte, Eier und insbesondere auch Fett. Das lässt sich sehr gut an den Bezeichnungen anderer Sprachen und Kulturen für die paar Tage ablesen, die der gefürchteten kulinarischen Einschränkung vorausgingen: Eigentlich hieß unsere Weiberfastnacht ursprünglich „Schmutziger Donnerstag“ (was später aus naheliegenden Gründen umbenannt wurde). Die Franzosen waren wohl ein bisschen früher dran und haben ihren Fettdienstag (Mardi gras), die Italiener feiern den Martedi grasso (Fettdienstag) und auch die Schweden schließen sich mit ihrem „Fettisdagen“ dieser Sichtweise an.
Kein Wunder, dass sich auch heute noch Hühnersuppe, Metzgermett, im Rheinland „Himmel un Ääd“ (gebratene Blutwurst mit Kartoffelstampf und Apfelmus), „Halver Hahn“ (Roggenbrötchen mit sehr viel Butter und noch viel mehr Käse obendrauf), Erbsensuppe mit Mettenden oder „Dicke Bunne mit Speck“ sowie auch Gulaschsuppe größter Beliebtheit erfreuen. Auch Heringsstipp oder Heringssalat sind nicht nur in der ehemaligen Hansestadt Köln (wussten Sie das eigentlich?) sehr beliebt, sondern zum Beispiel auch in Österreich. Schwarzwürste im Brötchen (Hexenfraß) mögen sie in Offenburg und in Mainz geht nichts ohne „Weck, Worscht und Woi“ – Brötchen, Fleischwurst und eine Flasche (!) Wein.
Backfett satt
Das mit dem Fett im Wochentag bezieht sich einerseits auf fettreiche Speisen, bei denen besonders Schweinefleisch und Speck, Sahne, Butter und Käse beliebt sind. Andererseits ist in Fett ausgebackenes Gebäck praktisch überall da der Renner, wo man Karneval feiert (zur Erinnerung: Das wertvolle Fett musste zur Fastenzeit weggeschüttet werden, was eine wirklich schmerzliche Sache gewesen sein dürfte). Fettgebackenes, also Schmalzgebäck, wie Berliner Ballen, Krapfen oder auch die einmaligen rheinischen Muzemandeln, die allesamt süß zubereitet werden, sind in Varianten praktisch überall auf der Welt zu finden (und die Zutaten sind logisch: Eier, Mehl, Butter, Zucker und eben Fett). Der berühmte venezianische Karneval zum Beispiel feiert seine „Chiacchiere“, ein frittiertes Gebäck, das in verschiedenen Varianten zubereitet wird und das man oft mit Schokoladensoße genießt.
Sehr zum Wohl
Auf jeden Fall hat diese dann doch eher spezielle Form der Ernährung für die tollen Tage natürlich nicht nur historisch-kulturelle Gründe. Weiter oben war schon zu lesen, dass auch der reichliche Genuss von Alkoholischem als fester Bestandteil zum karnevalistischen Treiben gehört. Deswegen ist es sicher eine sehr gute Maßnahme, seinen Bauch zunächst mit reichlich Fett zu versorgen, weil fettreiche Speisen besonders lange im Magen verbleiben, bis die Verdauungsenzyme sie schließlich zerlegen. Das trägt mehr oder weniger zuverlässig dazu bei, dass gleichzeitig genossener Alkohol langsamer ins Blut gelangt.
Natürlich erreicht der Alkohol das Blut trotzdem irgendwann und entfaltet seine Wucht und Wirkung im Körper, es dauert halt nur ein bisschen länger. Deshalb kann es auch unschön enden, wenn man in der Zwischenzeit heftig beim Bier zulangt: Der Rausch setzt dann etwas später, aber mit allen Konsequenzen trotzdem ein. Anders gesagt wird man nur später betrunken, allerdings kein bisschen weniger. Andererseits ist es ja auch nicht besonders lustig, wenn man schon nach dem dritten kleinen Bier in die Knie geht, während das Feiern gerade erst begonnen hat. Hauen Sie also besser vorher ordentlich rein.