Fluch und Segen
So lecker sie ja sein konnten und sehr oft auch waren: Die etwas Reiferen unter uns werden sich noch mit Grausen an diese unfassbar langweiligen Kaffeekränzchen bei irgendwelchen Tanten, Freunden der Eltern oder anderen uns weitgehend unbekannten Personen erinnern, bei denen man ordentlich zu sitzen, nicht zu stören und duldsam zu warten hatte, bis die Erwachsenen beim Eierlikör angekommen waren und man endlich vom Tisch aufstehen durfte.
Einziger und meist auch recht vergänglicher Trost waren dann nur die Kuchen und Torten, von denen man wenigstens mal probieren durfte, wenn zumeist allerdings nur halbe Stücke. Kaffee, Kuchen und der entsprechende Versammlungsdruck langweiliger Menschen zum Zwecke der Zeitverbrennung von Kindern sind und waren ein offenbar ziemlich kulturstiftendes Phänomen, wenngleich sich diese Sitte nur in Europa und Nordamerika so richtig durchgesetzt zu haben scheint. Ach, dieser glückliche andere Teil der Welt …
Gute Idee
Dabei hatte alles eigentlich ganz harmlos und ziemlich vielversprechend angefangen und war alles andere als eine unangenehme Sache. Schon die Römer waren irgendwie dahintergekommen, dass Teig viel besser aufgeht, wenn man ihm Hefe beifügt, und – was noch viel spannender ist – sie hatten offenbar einen Weg gefunden, Hefe gezielt zu züchten und zum Verbrauch vorzuhalten. Ein bisschen Teig, ein paar Früchte, Honig, Nüsse und wenn das Ganze dann aus dem Ofen kam, schmeckte es wohl ziemlich gut.
Besser spät als nie
Trotzdem dauerte es noch viele Hundert, um nicht zu sagen: 2.000 Jahre, bis schließlich das auf die kleinen Teller kam, was wir heute als Kuchen oder Torte bezeichnen – und dafür gab es ein paar sehr gute Gründe. Einer davon – und vielleicht der wichtigste – war der Zucker. Zwar gab es ihn schon seit Beginn des 16. Jahrhunderts auch in unseren Breiten, er war aber geradezu unfassbar teuer, weil er von den damaligen Kolonien importiert werden musste. Erst mit der Erfindung des raffinierten Zuckers aus den entsprechenden Rüben wurde er zur Massenware und für jedermann erschwinglich – und das war immerhin erst ab ungefähr 1850 der Fall. Vor dieser Zeit waren Kuchen und ganz besonders die Torten, zumindest, wie wir sie heute kennen, mehr oder weniger Fehlanzeige.
Die meisten heute bekannten Sahne-, Schokoladen- und Cremetorten entstanden tatsächlich erst mit dem Aufkommen des Industriezuckers im 19. und 20. Jahrhundert. Die Herstellung von Schlagsahne mit dem Schneebesen vor der Erfindung des elektrischen Handrührgeräts war zeitaufwendig. Die Ganache (Schokocreme) wurde um 1850 in Paris erfunden, Buttercreme wird von deutschen Konditoren erst seit Ende des 19. Jahrhunderts verwendet und auch Kakao und Vanille ließen ziemlich lange auf sich warten, was wiederum die vergleichsweise späte Erfindung der Ganache erklärt. Auch die Triebmittel Backpulver und Speisesoda, also Natron, kamen erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Markt bzw. in die Apotheken. Es war ein wirklich langer Weg.
Wie denn jetzt?
Um sicher durch das große Thema der feinen Backwaren zu kommen, sollten wir vielleicht zuerst einmal nachvollziehen, was eigentlich was ist, denn ein Kuchen ist keine Torte und umgekehrt.
Als Kuchen wird – ganz grob – ein Backwerk bezeichnet, dessen Zutaten, Belag oder Füllung nicht nach dem eigentlichen Backen hinzugefügt, sondern in einem Rutsch mitgebacken werden. Eine Torte dagegen besteht meist aus einem Tortenboden und einer oder mehreren Schichten Biskuitteig, zwischen und auf denen sich sehr oft Cremes auf Grundlage von Buttercreme, geschlagener Sahne oder Sahnecreme befinden, die je nach Rezept mit Zutaten wie Vanille, Kakao, Kaffee, gemahlenen Nüssen, frischen oder kandierten Früchten, Konfitüren sowie Spirituosen aromatisiert sind. Auch die Optik spielt bei den Torten eine viel wichtigere Rolle als bei den einfacheren Kuchen (ein Pfannkuchen ist übrigens genauso wenig ein Kuchen, wie eine Linzer Torte per Definition eine Torte ist, aber das nur am Rande). Und wenn man mit diesem Grundlagenwissen darüber nachdenkt, versteht man auf einmal auch viel besser, warum es PflaumenKUCHEN heißt, aber ErdbeerTORTE: Die Pflaumen werden mitgebacken, die Erdbeeren dagegen nicht.
Die vier Teiglinge
Auf jeden Fall kommt man grundsätzlich ganz gut zurecht, wenn man vier verschiedene Teige beherrscht, namentlich Hefeteig, Mürbeteig, Rührteig und Biskuitteig: Aus diesen ist so gut wie jedes feine Backwerk herstellbar (wenn man natürlich auch nicht alle vier in einem Kuchen oder einer Torte zum Einsatz bringt). Torten zum Beispiel haben oft – mehr oder weniger aus Gründen einer gewissen Stabilität – einen Mürbeteig als Boden und setzen mit zunehmender Höhe auf den leichten, weichen, fluffigen und immer noch vergleichsweise robusten Biskuitteig, der nicht nur zuverlässig die Feuchte aus den Cremes und Auflagen aufnimmt und sich später dann gut schneiden lässt, sondern auch wunderbare einzelne Schichtungen ermöglicht, die ansonsten beim Anschneiden ein heilloses, amorphes und wenig ansehnliches Durcheinander ergäben.
Hefe- und Mürbeteige finden ziemlich oft bei Obstkuchen Verwendung, weil sie stabil sind und ganz gut mit den austretenden Säften der Früchte zurechtkommen – und weil ihr Eigengeschmack natürlich einiges zum Gesamtgenuss beitragen kann. Biskuit dagegen ist mit Ei, Zucker und wenig Mehl eher eine süße Trennhilfe und nicht unbedingt ein Geschmacksträger, was eigentlich eine gute Sache ist, wenn man bedenkt, was sonst noch so alles in eine Torte gehört.
Ach so?!
Übrigens: Der Begriff „Torte“ bezeichnete ursprünglich keine süße Konditoreiware, sondern eine gefüllte Pastete, die meistens herzhaft war. Als älteste süße Torten gelten allgemein Mandeltorten (gefüllt mit einer Mandelmasse) und das älteste überlieferte Rezept einer namentlich genannten Torte ist die „Linzer Torte“ von 1653 (die ja, wie wir bereits wissen, streng genommen gar keine Torte, sondern ein Kuchen ist).