Eigentlich ganz einfach
Damit aus Milch Käse werden kann, sind im Grunde nur wenige Schritte erforderlich: Zuerst einmal muss der Milchzucker in Milchsäure umgebaut werden, worum sich die berühmten Milchsäure-Bakterien sehr gerne und oft auch ganz freiwillig kümmern (sie sorgen dafür, dass die Milch sauer wird, was nicht mehr zuverlässig funktioniert, wenn die Milch zuvor pasteurisiert wurde. In diesem Fall werden Milchsäurekulturen gezielt zugesetzt). Ist ein ausreichend hoher Anteil von Milchsäure erreicht, muss in einem zweiten Schritt das enthaltene Milcheiweiß, das Kasein, durch den Einsatz spezieller Enzyme (Lab) zum Gerinnen gebracht werden, was dazu führt, dass sich die saure Milch endlich verdickt.
Sind diese beiden Prozesse erledigt, dann muss der Käser im Grunde nur noch die Molke loswerden, also die Flüssigkeit, die kein Kasein mehr enthält und auch keinen Milchzucker, sondern in erster Linie Wasser. Je nachdem, welchen Käse er am Ende haben will, nimmt der Käser mehr oder weniger Flüssigkeit aus dem System und legt somit fest, ob er Frisch-, Weich- oder Hartkäse herstellen will.
Dass der richtige Säureanteil hierbei eine große Rolle spielt, ist also klar, allerdings braucht der Enzymcocktail des Labs auch die genau richtige Temperatur, damit alles wie am Schnürchen läuft – und natürlich kommt es auch sehr auf das richtige Timing an: Die Milch sollte nicht zu lange fermentieren, damit sie nicht allzu sauer wird, das Lab sollte zum idealen Zeitpunkt zugegeben werden, damit nicht alles sozusagen aus dem biochemischen Ruder läuft. Und je nach Käse braucht es zwischen 21 und 36 Grad Celsius, um alles auf den richtigen Weg zu bringen (man kann sich merken, dass die Milch für Weichkäse wärmer sein muss als für den Hartkäse – Gorgonzola zählt zum Weichkäse).
Komischer Name
Logisch, dass es gefährlich wird, wenn die jeweiligen Schritte unterbrochen, verändert, vertauscht oder verlängert werden, weil Natur nun mal Natur ist und bestimmte Einmischungen bzw. Nachlässigkeiten nicht wirklich verzeiht – schließlich soll das Ergebnis am Ende nicht nur essbar, sondern auch genießbar sein. Timing ist alles.
Wenden wir uns mit diesen Informationen dem Gorgonzola zu, dessen quasi vollständiger Name „Stracchino di Gorgonzola“ (der Müde von Gorgonzola) oder „Stracchino verde“ (der grüne Müde) lautet. Interessant ist nämlich, dass „stracchino“ eine Entlehnung aus dem italienischen „stracco“ ist, was schlicht „müde“ bedeutet. Die Frage ist nur, warum man einen italienischen Blauschimmelkäse „den Müden“ nennt, denn wer ihn einmal genossen hat, weiß, wie sehr er die Lebensgeister weckt.
Aber wie so oft bei alten und sehr alten Spezialitäten (Gorgonzola ist seit spätestens dem 11. Jahrhundert aktenkundig, manchen, allerdings unbestätigten Quellen zufolge wurde er schon im 9. Jahrhundert hergestellt) finden sich hübsche und gut merkbare Gründermythen, von denen wir Ihnen an dieser Stelle gerne zwei zur freien Auswahl stellen wollen.
Guten Morgen
Wir reden von frühmittelalterlicher Landwirtschaft, was bedeutet, dass die wenigen Kühe, die man so hatte, nicht in Ställen, sondern auf Weiden gehalten wurden. Der Gorgonzola hat seinen Ursprung in der Lombardei, also in demjenigen nördlichen Teil Italiens, der an den Alpen liegt – klar, dass die Bauern mit dem Frühjahr ihre Tiere gerne auf die Almwiesen trieben, sie dort den Sommer über rund und fett machten und erst zum Winter wieder zurück in die Täler holten: Das war keine leichte oder schnelle Sache, weil etliche Höhenmeter zu überwinden und die zurückzulegenden Strecken teils erheblich waren. War alles geschafft, kamen die Rindviecher einigermaßen erledigt unten an und hatten wahrscheinlich an nichts weniger Interesse, als hochwertige Milch in schönen Mengen an die Melker abzugeben: Sie waren einfach müde, stracco, und die Milch war entsprechend „schlapp“.
Das ließen die Käser so aber nicht durchgehen, melkten die Tiere dennoch und begannen noch am Abend mit dem Käsen, indem sie die wenige und wenig gehaltvolle Milch erst einmal in aller Ruhe sauer werden ließen. Über Nacht sammelten die Kühe flugs neue Kräfte und bessere Milch, die dann am nächsten Morgen kurzerhand in die Kessel mit der bereits vergorenen Sauermilch gekippt, kurz darauf mit Lab versetzt und so schließlich zum Stocken gebracht wurde.
Eine etwas romantischere Variante erzählt von einem unternehmungslustigen Melker, der eines Abends Besuch von einer lebenslustigen Magd bekam und sich derart den Freuden ihrer Gegenwart hingab, dass er am berühmten „Morgen danach“ dermaßen müde war, dass er ganz einfach die Kessel vertauschte und die frische Milch, die er soeben gemolken hatte, zu der bereits sauer gewordenen Milch des Vorabends schüttete, was die natürlichen Prozesse der „normalen“ Käseherstellung ein bisschen durcheinanderbrachte. Zufällig entstand aber so ein ausgesprochen gutes Endprodukt, an dem wir uns noch heute erfreuen. Über eine weiterführende Beziehung der beiden liebeshungrigen Nachteulen ist nichts weiter bekannt.
Wie denn jetzt?
Gorgonzola wird entweder aus der getrennt dickgelegten Milch zweier Melkgänge gewonnen, aus der zusammengeschütteten Milch zweier verschiedener Melkgänge oder auch aus der Milch eines einzigen Melkganges (Sie sehen: Irgendwie verschmelzen hier die verschiedenen Legenden zu seiner Entstehung).
Die Vollmilch aus dem Erzeugungsgebiet (wichtig für die Herkunftsbezeichnung) wird pasteurisiert, danach mit Milchsäurebakterien versetzt und dann mit einer Suspension von Penicillium-Sporen und ausgewählten Hefen „geimpft“, erst danach kommt das Lab hinzu (die genaue Art der Penicillium-Sporen ist nicht wirklich vorgegeben, sehr häufig ist es aber Penicillium roqueforti, was irgendwie witzig ist, weil der „Roquefort“ einer der beliebtesten und besten Blauschimmelkäse aus Frankreich ist – im Unterschied zum Gorgonzola aber aus Schafsmilch gewonnen und in Höhlen gereift wird).
Der so entstandene Käse wird trocken gesalzen und einige Tage bei einer Temperatur von 18 bis 24 Grad Celsius gelagert. Um eine bessere Verteilung des Schimmelwachstums zu fördern, werden die Laibe während der Reifung (klassisch) mit Kupfer- oder (moderner) mit Edelstahlnadeln durchstochen, sodass zusätzlicher Sauerstoff im Teig verteilt wird, den die Hefen und Pilze brauchen. Je nach Typ reift der Gorgonzola dann von knapp zwei Monaten bis zu fast einem Jahr bei einer Temperatur von −1 bis 7 Grad Celsius und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 85 bis 100 %.
Übrigens lautet ein weniger gebräuchlicher Name des Gorgonzola aus der Gegend um Mailand „Stracchino erborinato“, was man mit „müde Petersilie“ übersetzen kann: Die grünen Schimmeladern des Gorgonzola erinnerten die Namensgeber wohl an Petersilie (im Mailänder Dialekt „erborin“).
Mehr davon!
Gorgonzola hat im Allgemeinen eine typische, recht dicke, rötliche Rinde, die stellenweise graue Schimmelflecken aufweist und eher nicht (!) zum Verzehr geeignet ist. Der weiche, manchmal auch streichfähige Teig ist weiß bis strohgelb und von grünblauen Schimmeladern durchzogen. Gut zu wissen: Der würzig-pikante Geschmack des Käses mit dezent süßer Note ist meist deutlich milder als sein Geruch. Käse, der sauer oder bitter riecht oder bräunlich verfärbt ist, sollte man nicht mehr essen.
Historisch gesehen gibt und gab es ziemlich viele Formen und Varianten des edlen Blauschimmelkäses; alle kommen aber mit mindestens 48 % Fett in Trockenmasse. Diese drei hier entsprechen der aktuellen „g. U.“-Bestimmung, also dem geschützten geografischen Ursprung, was in Italien „Denominazione d’Origine Protetta“ (DOP) genannt und eifersüchtig überwacht wird:
Warum eigentlich ausgerechnet Gorgonzola?
Gorgonzola wird im großen Stil und an zahlreichen Orten sowohl in der Lombardei als auch im benachbarten Piemont hergestellt, was die Frage aufwirft, warum er ausgerechnet nach dem kleinen Örtchen Gorgonzola benannt worden ist. Der Hauptgrund hierfür dürfte ein anderer Käse sein – Taleggio. Auch dieser ist ein Weichkäse aus Norditalien, der – aus welchen Gründen auch immer – ebenfalls „Stracchino“ hieß, weshalb man mit dessen zunehmender Popularität nach einem eindeutigeren Namen suchte.
Man einigte sich schließlich irgendwie auf den Namen des Städtchens Gorgonzola, einer der zahlreichen Ortschaften, in denen der Käse produziert wird. 1970 schlossen sich die namhaftesten Stracchino-Produzenten zum Verband der Gorgonzola-Produzenten (Consorzio Gorgonzola) zusammen, der Herstellung und Vertrieb des Käses überwacht. Diesen Gorgonzola erkennt man am Siegel mit den Initialen „CG“.
Per Verordnung des Verbands darf Gorgonzola mit geschützter Ursprungsbezeichnung nur in zwei Gebieten überhaupt hergestellt werden, namentlich in der Lombardei und im Piemont. Und obwohl Gorgonzola nachweislich aus der Lombardei stammt, wird die größte Einzelmenge in der piemontesischen Provinz Novara hergestellt (45 % der Gesamtmenge) und nur 22 % kommen aus der Provinz Pavia in der Lombardei. Der Ort Gorgonzola liegt übrigens in der Provinz Mailand und spielt bei der eigentlichen Produktionsmenge nur eine untergeordnete Rolle.
Verwendung in der Küche
Gorgonzola ist die perfekte Zutat für leckere Käsesoßen. Kombiniert man ihn dabei mit milderen Käsesorten, wie beispielsweise Mascarpone, entsteht eine cremige, mild-würzige Soße. In Verbindung mit Parmesan, Mozzarella und Provolone erhält man eine wunderbare Vier-Käse-Soße, die sehr gut zu Nudeln passt.
Gorgonzola ergänzt auch Gemüse-, Fisch- und Fleisch-Gerichte sehr gut. Aufläufe mit Spinat, Blumenkohl und Brokkoli erhalten durch den würzigen Käse das gewisse Etwas. Genauso, wie eine Ofenkartoffel, Pizza, Flammkuchen oder Salat.
Doch dieser Käse kann nicht nur herzhaft. Auch süße Gerichte und Desserts profitieren von seinem unverwechselbaren Geschmack. Probieren Sie unbedingt einmal gebackene Birne oder gegrillte Pfirsiche mit einer Gorgonzola-Mascarpone-Haube.
Natürlich schmeckt Gorgonzola auch pur. Reichen Sie ein paar Trauben oder Oliven und etwas Ciabatta dazu und fertig ist der perfekte Abschluss für Ihr Menü.