Gute Idee
Jedem, der sich auf das Abenteuer einlässt, ein paar Wochen Urlaub in Schottland zu machen, sei an dieser Stelle „Herzlichen Glückwunsch“ gesagt – eine viel bessere touristische Entscheidung kann man im Grunde überhaupt nicht treffen. Stellt sich eigentlich nur noch die Frage nach der Anreise, weil man auf eine Insel – und sei sie noch so schön – nicht so gut zu Fuß oder mit dem Fahrrad kommt. Bleibt also die kurze Flugreise mit den Destinationen Glasgow im Westen oder Edinburgh auf derselben Höhe im Osten, die Nachtfähre nach Newcastle oder der Klassiker über Dover und dann die komplette Strecke durch mehr oder weniger ganz England Richtung Norden.
Runter mit Ihnen
Nun ist es ganz egal, wie Sie anreisen – sehr wichtig für Sie zu wissen ist, dass Schottland keineswegs nur aus den berühmten Highlands im Norden besteht (im Gegenteil: Wer sich zum Beispiel Loch Ness mal genauer ansieht, stellt schnell fest, dass der See eigentlich total langweilig ist, zumindest landschaftlich). Vor allem die eher weniger berühmten Gegenden bieten oft geradezu atemberaubende Landschaften, Natur und natürlich auch viel entspanntere Einwohner, die in der Tat noch Zeit und Muße für einen kleinen Plausch zum Spaß mit Ihnen haben.
Sollten Sie also in Glasgow oder Edinburgh gelandet sein, dann lenken Sie Ihren Leihwagen nicht sofort nördlich in Richtung John o’ Groats (auch langweilig, wenn man nicht gerade auf die Fähre zu den Orkneys oder nach Shetland will) und nicht ins beschauliche Oban oder ins extrem spektakuläre Tal von Glencoe, sondern geben Sie sich einen mutigen Ruck und steuern Sie zunächst einmal den Süden an: Fahren Sie erst in die Lowlands! Und wenn Sie ohnehin aus südlicher Richtung gen Norden unterwegs sind, dann liegen die ja ohnehin quasi auf dem Weg.
Hier entlang
Unterhalb von Edinburgh und Glasgow nämlich werden Sie zwei Orte finden: Moffat und Selkirk, was Ihnen nur als Orientierung dienen soll – die beiden Städtchen sind nett, aber in unserem Zusammenhang kaum der Rede wert. Viel wichtiger ist die kleine Landstraße, die die beiden verbindet (die A 708) und die durch eine (ohne Übertreibung) spektakuläre Landschaft führt – namentlich durch ein tief eingeschnittenes Tal, das die Gletscher der letzten Eiszeit hier hinterlassen haben. Selbst wenn Sie kein Glaziologe oder Geologe sein sollten, lohnt sich die Fahrt schon allein des Ausblicks wegen.
Pst
Noch viel besser wird es allerdings – und hier begeben wir uns fast schon in die Nähe eines Geheimtipps –, wenn Sie irgendwo in der Mitte von gar nichts an einem Schild abbiegen, auf dem „Grey Mare’s Tail Nature Reserve“ steht, parken und sich erst einmal kurz die Beine vertreten. Wenige Meter vom Parkplatz entfernt können Sie dann das erste Mal mächtig staunen, denn Sie werden vor einem der höchsten Wasserfälle Großbritanniens stehen, einem der spektakulärsten noch dazu: Über mehrere Stufen ergießt sich das Wasser des entschieden höher gelegenen „Loch Skeen“, der immerhin der höchstgelegene See von ganz Schottland ist. Und weil das Wasser bei seinem Sturz (immerhin 60 Meter) so schön zerstäubt und gleichzeitig recht eng zusammenbleibt, heißt der Fall auch so, wie er heißt: Schweif der grauen Stute.
Noch besser wird es aber, wenn Sie sich feste Schuhe anziehen und sich an den nicht ganz unanstrengenden, aber äußerst lohnenswerten Aufstieg an der Flanke des Hügels machen: Erstens eröffnet sich Ihnen dort nach kurzer Zeit eine Perspektive, die Ihnen beim Ausblick über das Tal den Atem verschlagen wird, zweitens führt der Weg Sie an die Fallkante des Wasserfalls, was Sie Ihr Leben lang nicht vergessen werden.
Sagenhaft
Aber da geht noch mehr – und auch das werden Sie nicht mehr vergessen: Wenn Sie dem steinigen Pfad, der sich in endlosen Kehren und Kurven den Hang emporwindet, bis ganz zu seinem Ende folgen, dann gibt es eine letzte Rechtskurve, nach der Sie urplötzlich und völlig unerwartet an einen magischen, wenn nicht mythischen Ort gelangen und Gänsehaut bekommen: der schon erwähnte Loch Skeen. Machen Sie sich da Ihre eigenen Gedanken, lassen Sie den Eindruck erst einmal sacken, behalten Sie das Smartphone vielleicht für einen kurzen Moment in der Tasche und geben Sie sich einfach dem Erlebnis hin: So etwas werden Sie in der Form wahrscheinlich noch nie gesehen haben …
Ein wahres Rätsel - der Seesaibling
Seltsam
Und jetzt Schluss mit der Schwärmerei, schließlich sind wir kein Touristikunternehmen, sondern Ihr liebster C&C-Markt. Kümmern wir uns ab jetzt also um den Seesaibling, was ja schließlich Sinn und Zweck dieses Textes ist. Den seltensten Süßwasserfisch Großbritanniens findet man nämlich im Loch Skeen, was bei einem Land mit dermaßen vielen Seen, Flüssen und Gewässern zwar durchaus eine Erwähnung wert ist, aber im Vergleich zur jetzt folgenden Frage nicht besonders aufregend erscheint. Die Frage lautet nämlich, wie der „Vendace“, wie sie ihn hier nennen, es geschafft haben mag, den See überhaupt zu besiedeln. Er wird ja wohl kaum einen 60 Meter hohen Wasserfall hinaufgeschwommen sein, und oberhalb des Sees existiert auch nichts, was man einen anständigen Zulauf nennen könnte. Es ist ein wahres Rätsel.
Hoch hinaus
Fast ebenso rätselhaft sind die Seesaiblinge, die in den kristallklaren, tiefen und kalten Gletscher- und Gebirgsseen in den Alpen leben (Salvelinus alpinus) – immerhin in Höhen von bis zu 2.600 Metern – und diese weder verlassen noch von außen erreichen können. Gut: Im 14. und 15. Jahrhundert wurden ein paar Seen gezielt mit Saiblingen besetzt, damit die Bewohner in der Nähe nicht immer tagelange Touren ins Tal unternehmen mussten, wenn ihnen nach einer schönen Portion Fisch war. Aber in manchen Seen lebten sie vorher schon seit eh und je und niemand weiß, wie ihnen das Kunststück der Besiedelung dereinst wohl gelungen ist. Genau wie in Schottland …
Die Vettern aus dem Meer
Irgendwie muss es aber irgendwelche Vorfahren gegeben haben – Saiblinge zählen übrigens zur Familie der Lachsfische –, die entweder von den Seen ins Meer oder andersherum gewandert sind, denn zusätzlich zu den Seesaiblingen in DEN Seen gibt es nämlich auch die Seesaiblinge in DER See (die sich für das Meer als Habitat entschieden haben). Neben dem reichen und festen Fleisch mit überschaubarem Fettanteil (wie gesagt, Lachsartige, zu denen übrigens auch die Forelle zählt) verbindet die beiden Gruppen ihre Liebe zu kaltem, sauberem und recht tiefem Wasser, was die Seesaiblinge aus dem Meer, die manchmal „Rotforellen“ genannt werden (das macht sie nicht zu Forellen), sehr weit nach Norden, ins Nordpolarmeer, verschlagen hat. Darum werden sie im Handel auch als „Eismeersaibling“ oder als „Arctic Char“ bezeichnet.
Sehr schön
Im Gegensatz zu seinen Vettern aus den Bergen kann der Seesaibling, die Rotforelle, der Eismeersaibling, der Arctic Char recht groß und schwer werden (1 Meter Länge und 12 bis 15 Kilogramm sind keine Seltenheit). Er gilt als hervorragender Speisefisch mit festem, fettarmem und aromatischem Fleisch, das sich bestens braten, grillen, dünsten oder auch räuchern lässt. Seesaiblinge besitzen nur wenige Gräten, die außerdem noch sehr leicht entfernt werden können.
Sag, Herz – was willst du mehr …