Kabeljau
Die Weltmacht
Wenn ein profaner Meeresfisch das Zeug dazu hat, dass Küsten und Inseln nach ihm benannt und Kriege um ihn geführt wurden und sich eine kleine, aber sehr feine Fischfangnation seinetwegen geweigert hat, der EU beizutreten; wenn er wahrscheinlich maßgeblich zur Entdeckung Amerikas durch die Wikinger beigetragen hat und – wie manche Quellen berichten – die Pilgerväter den amerikanischen Kontinent ohne ihn wohl kaum erfolgreich hätten besiedeln können; und wenn wir dann auch noch lernen, dass die spanischen und portugiesischen Eroberer ohne seine Hilfe wohl nie Südamerika unterworfen hätten, dann sprechen wir hier im wahrsten Sinne des Wortes von einem Tier, das Geschichte geschrieben hat. Von einem Weltfisch.
Augen auf beim Fischeinkauf
Wo fangen wir an? Vielleicht am besten damit, wie man ihn wo nennt – denn das ist für den Einkauf keine ganz unwichtige Angelegenheit, weil er auch oft unter dem Namen „Dorsch“ gehandelt wird. Streng genommen ist ein Dorsch allerdings ein noch nicht geschlechtsreifes Tier, zumindest, wenn er aus dem Nordatlantik oder arktischen Gewässern stammt. Als „Kabeljau“ bezeichnen wir erst den ausgewachsenen bzw. geschlechtsreifen Fisch, die Norweger nennen ihn „Skrei“. Und alle, die Englisch sprechen, mögen es kurz und knackig, darum heißt er dort „Cod“.
Die Ausnahme bildet die Ostsee. Hier werden auch die erwachsenen Tiere „Dorsch“ genannt, allerdings erreichen sie bei Weitem nicht die Größe (bis zu 1,50 Meter) und das Gewicht (bis zu 50 Kilo) ihrer Verwandten aus dem offenen Ozean.
Warum das für den Einkauf wichtig ist? Weil die Bestände des Kabeljaus in den letzten 50 Jahren deutlich zurückgegangen sind und es ganz sicher keine gute Idee ist, die Tiere zu essen, bevor sie sich erfolgreich vermehren konnten. Vorsicht also bei „nordatlantischem Dorsch“!
Der Fischfisch
Er ist nicht besonders ausdauernd, lebt in riesigen Schwärmen in relativer Ufernähe, wandert nicht besonders weit und viel. Sein köstliches weißes Fleisch ist vollgepackt mit vielen Proteinen, hat ganz wenig Fett und – und das ist mitentscheidend für seinen Erfolg – er riecht einfach nicht nach Fisch. Diese Eigenschaften zusammengenommen machen klar, warum er sehr schnell zum Star der westlichen Welt aufstieg: Man konnte ihn in großen Mengen fangen, leicht ausnehmen und an der Luft trocknen, sodass er über Monate haltbar blieb – und man erstickte nicht am Gestank.
Tatsächlich lockte er nicht nur die Wikinger immer weiter nach Westen, bis sie schließlich auf Neufundland stießen (und somit Amerika betraten), er war auch ein beliebtes Handelsgut, das die Nordmänner nach ganz Europa verkauften. Und als die Basken dann 500 Jahre später die Kabeljaue vor Neufundland entdeckten und die Technik des Einsalzens verwendeten, gab es sozusagen kein Halten mehr: Alle großen und kleineren Entdecker dieser Zeit hatten ihre Segelschiffe vor der Abreise mit Salz- und Trockenfisch vollgepackt. Auch die Konquistadoren verließen sich auf den Kabeljau.
In Cod We Trust
Dann kamen die Engländer – das waren die Pilgerväter – und fischten bzw. mischten mit. Die unfassbaren Mengen an Kabeljau am „Cape Cod“ sicherten ihnen nicht nur das reine Überleben, sie wurden später auch steinreich damit. Jeder wollte den Fisch.
Das war zu der Zeit im Grunde auch noch gar nicht so schlimm: Kabeljau kam in solch rauen Mengen vor, dass mit den damaligen Fangmethoden keinerlei Gefahr bestand, dass die nordamerikanischen Bestände je einmal in Schwierigkeiten geraten könnten. Bis die motorisierte Schifffahrt aufkam – jetzt sah die Sache etwas anders aus. Die Netze wurden immer größer, die Schiffe immer schneller und die Mannschaften immer effizienter. Und wenn sich zur Gier die Möglichkeit gesellt, dann wird es bekanntlich ja schnell etwas eng.
Fisch und weg
Wurde es auch. Irgendwann wurden mehr Tiere aus dem Meer geholt, als nachwachsen konnten – was wirklich erstaunlich ist, wenn man sich einmal vor Augen hält, welch enormes Fortpflanzungspotenzial der Kabeljau hat: Ein geschlechtsreifes Weibchen kann pro Jahr 1 Million bis 5 Millionen Eier legen und gut und gerne 25 Jahre alt werden, wenn man es denn lässt.
Um das mit der Gier mal in Zahlen auszudrücken, hier ein kleines Rechenbeispiel: Damit männliche und weibliche Tiere den Fortbestand ihrer Art sichern können, reicht es, wenn sie in ihrem Leben zwei (2) Nachfahren zeugen. Hierzu legen sie um die 20.000.000 bis 40.000.000 Eier, aus denen normalerweise weit mehr als die erforderlichen zwei Nachkommen heranwachsen. Der Kabeljau ist nämlich einer der fruchtbarsten Fische der Erde. Trotzdem sind die weltweiten Bestände zurückgegangen.
Kabeljau forever!
Natürlich gibt es auch kluge, weniger gierige Menschen und denen verdanken wir es, dass wir diese Delikatesse auch heute noch, und das mit gutem Gewissen, auf den Teller bekommen. Norwegen zum Beispiel (äußerst strenge Fangquoten, Kabeljau [Skrei] von den Lofoten) und natürlich Island.
Die Isländer hatten sehr früh begriffen, dass der Fisch bald verschwunden sein würde, wenn alle Welt sich gerade aus dem Meer zieht, wonach ihr so ist. Darum vergrößerten sie ihre Fischereigrenzen von zunächst nur 4 Seemeilen auf später dann 200, um zu verhindern, dass sich vor allem die Engländer bedienten, wie sie eben wollten. Eine Zeit lang kamen englische Trawler in Begleitung der englischen Kriegsmarine zum Fischen, weshalb diese Phase auch als „Kabeljaukrieg“ in die Geschichte einging. Island hat ihn übrigens gewonnen.
Und als Island mit ansehen musste, dass die EU den Kabeljaufang vor der Westküste Grönlands erlaubte, obwohl dort so gut wie keine geschlechtsreifen Tiere mehr vorzufinden waren und mindestens ein weiteres Jahr kompletter Fangschutz hätte erfolgen müssen, entschloss sich die Fischereination kurzerhand dazu, der EU nicht beizutreten, um vor solchen Fehlentscheidungen auch in Zukunft sicher zu sein. So hat Island zwar heute keinen Euro, aber wir alle haben wunderbaren, kerngesunden Kabeljau. Aber auch die EU und andere Staaten haben noch mal neu nachgedacht und den Kabeljau weltweit durch sehr strenge Regelungen und Fangquoten unter ganz besondere Aufsicht und entsprechenden Schutz gestellt.
Danke sehr! Geht doch!