Geschmackssache
Jetzt kommt es auf Sie an: Man kann seinen Espresso einfach genießen und sich keine weiteren Gedanken darüber machen, wie sein einzigartiges Aroma und natürlich seine schöne Crema entstehen. Oder man möchte es etwas genauer wissen und setzt sich mit Bohnen, Röstung, Mahlgrad, Wassertemperatur und Brühdruck immerhin so weit auseinander, dass man noch an der einen oder anderen Stellschraube drehen kann, bis man „seinen“ idealen Espresso gefunden hat. Oder man taucht ganz tief in die chemisch-physikalischen Prozesse ein, befasst sich mit Säuren, Lipiden oder dem CO2-Gehalt in der gerösteten Bohne und gibt gerne für das Equipment und auch für den Kaffee selbst schon mal ein kleines Vermögen aus.
Wir beliefern hier vor allem Variante zwei mit Wissenswertem und Erstaunlichem. Vielleicht lässt sich aber auch Variante eins bei einem schönen Tässchen ein paar Aha-Informationen schmecken. Und Nummer drei bleibt eben doch eher den echten wie selbsternannten professionellen Baristas und Teilnehmern an internationalen Meisterschaften vorbehalten ...
Dampfloks in Italien
Wie bei sehr vielen Produkten mit Kultstatus ranken sich auch um den Espresso so einige Mythen, weswegen man immer eine gewisse Vorsicht walten lassen sollte, wenn man hier eintauchen will. Ziemlich sicher scheint aber zu sein, dass das, was wir heute als Espresso kennen, zum ersten Mal in Mailand oder zumindest in der Umgebung davon über den Tresen ging. Schon was den Namen anbelangt, sind die Dinge aber einigermaßen verwirrend: Bis ungefähr 1900 nämlich gab es recht komplizierte Maschinen, mit deren Hilfe Kaffeemehl zu dem aufgebrüht wurde, was wir heute schlicht Kaffee nennen würden. Da diese Kaffeemaschinen mit Wasserdampf, ein bisschen Druck und entsprechender Geräuschentwicklung funktionierten, nannte man sie mit leichtem Spott auch „Kaffeelokomotiven“.
Im Jahr 1901 gelang es dann dem Mailänder (sehen Sie!) Luigi Bezzera, eine Apparatur zu entwickeln, die sehr hohen Druck in dem Wasser aufbauen konnte, das das Kaffeepulver in Sekundenschnelle durchdrang. Das führte nicht nur zu einem besonders attraktiven und wohlschmeckenden Ergebnis – es ging auch wirklich blitzschnell. Kein Wunder, dass er sich angesichts der sonstigen behäbigen (Kaffee-)Loks seinen „caffè espresso“ patentieren ließ. Das Wort Espresso ist dabei ausgerechnet eine Entlehnung aus dem Englischen, wo die Bezeichnung „express“ für „Schnellzug“ seit Mitte des 19. Jahrhunderts belegt ist.
Eigentlich ganz einfach
Heißes Wasser plus hoher Druck plus feines Kaffeemehl gleich Espresso. Komplizierter ist es im Grunde gar nicht, allerdings steckt der Teufel ja im Detail, weswegen wir uns noch ein bisschen genauer umsehen wollen.
Fangen wir vielleicht mal bei einer der überraschendsten Tatsachen an, nämlich dem Koffeingehalt. Da die Bohnen für Espresso ganz anders geröstet werden als die für Kaffee, enthält Espressomehl viel weniger Koffein, als das beim Kaffee der Fall ist. Nur auf die sehr geringe Serviermenge gerechnet ist reichlich Koffein enthalten; das hat aber nichts mit den Bohnen, sondern nur mit der jeweiligen Wassermenge zu tun (zum Vergleich: Ein typischer Espresso braucht 25 ml Wasser, ein normaler Kaffee 125 ml).
Fünf Schritte zur Glückseligkeit
Bohnen, Röstung, Extraktion
Espresso wird in der Regel aus dunkler gerösteten Mischungen – oft mit einem etwas höheren Robusta-Anteil – hergestellt. Robusta-Bohnen gelten zwar als weniger aromatisch als Arabica-Bohnen, verleihen dem Espresso aber einen volleren Körper und damit die für Espresso typische „Schwere“. Außerdem lässt sich mit einem höheren Robusta-Anteil bei der Zubereitung deutlich einfacher eine gute Crema erzielen als mit einer reinen Arabica-Mischung.
Durch die dunkle Röstung verliert die Bohne einen Großteil ihrer geschmacklich wahrnehmbaren Säuren – deutlich mehr als bei der helleren Filterkaffeeröstung. Das ist auch so gewollt, denn durch die spätere Zubereitung unter hohem Druck lösen sich die Säuren überproportional schnell, weswegen man hier schon bei der Röstung gegenlenken muss. Ein Espresso aus hellem Kaffeemehl ist also deutlich saurer. Allerdings kann dieser scheinbare Widerspruch zum traditionellen Espresso auch bewusst angestrebt werden: Helle Espressoröstungen mit fruchtigen Noten liegen seit einiger Zeit im Trend.
Mit zunehmendem Röstgrad (also je dunkler es wird) kommt es auch zu einer Verschiebung im Bitterkeitsprofil. Während sich bei hellen bis mittleren Röstgraden zunächst „weiche“ Bitterelemente bilden, sind diese bei dunkleren Röstungen weitgehend abgebaut und es dominieren – durchaus so gewollt – die vermehrt gebildeten „harschen“ Bitterelemente.
Die besonders schnell ablaufende Extraktion, also das Brühen eines Espressos, hat praktisch nur Vorteile: Zwar wird das im Mehl enthaltene Koffein nur zu etwa 75 % ausgelöst, dafür werden jedoch in der kurzen Zeit auch jede Menge unerwünschte Inhalts- und Geschmacksstoffe vermieden. Die bei der Röstung konservierten verbliebenen Lipide werden durch heißes Wasser gelöst und verbinden sich aufs Schönste mit den „guten“ Aromastoffen.
Und wenn es nichts geworden ist?
Beste Freunde
Espresso ist die häufigste Zubereitungsart für Kaffee in Südeuropa – insbesondere in Italien, Spanien, Portugal und Frankreich. In diesen Ländern erhält man immer einen Espresso, wenn man einen „Kaffee“ bestellt: italienisch caffè, französisch café, spanisch café, portugiesisch café. Und weil eine solche Köstlichkeit sehr gerne in verschiedenen Auslegungen und Variationen serviert wird, kommt hier noch eine kurze Aufstellung der Varietäten, die in Deutschland am beliebtesten sind. Hierbei geht es – wen wundert’s – vor allem um die Milch.
Espresso: Mit oder ohne Milch?
Übrigens
Ein im Stehen, „al banco“, getrunkener Espresso darf an keinem Ort Italiens aktuell mehr kosten als 1,20 Euro. Wer sich setzen möchte, muss eine zusätzliche Servicegebühr entrichten. Und weil die Gebühr „coperto“ heißt, nennt man auch die entsprechende Bestellung so. Also Vorsicht: Ein Coperto ist keine besondere Zubereitungsart oder Spezialität, sondern ein Kostenfaktor.
Besonders schön ist der Brauch des „sospeso“ in Neapel: Wenn man einen erfolgreichen Tag hatte oder einfach einen kleinen sozialen Beitrag leisten will, bestellt man einen Sospeso – man trinkt dann einen Espresso und bezahlt für zwei. Wer sich selbst keinen Espresso leisten kann, fragt in der Bar nach diesem „Aufgehobenen“ und erhält ihn dann kostenlos. Menschen, denen es finanziell nicht gut geht, können dadurch weiter am sozialen Leben teilhaben. Keine schlechte Idee.