Entdeckung und Verwendung von Erbsen
Das Zuckerpüppchen
Komische Geschichte: Ein Prinz möchte gerne heiraten und bittet seinen Vater um die erforderliche Einwilligung. Der Vater stimmt unter der – irgendwie ja nachvollziehbaren – Bedingung zu, dass der Prinz nur eine Prinzessin ehelichen darf, was erst einmal einfacher klingt, als es ist, denn: Woran genau erkennt man eine echte Prinzessin? Heiratswütiges Weibsvolk kann schließlich viel erzählen. Auf jeden Fall taucht eines Tages eine vom Regen durchnässte potenzielle Kandidatin auf, bleibt allerdings zunächst einen deutlich sichtbaren Beweis ihrer edlen Herkunft schuldig. Schwierig. Beziehungsweise total leicht, denn die Mutter unseres liebestollen Prinzen, also die amtierende Königin, macht ein ziemlich einfaches Experiment und legt eine einzige Erbse auf den Boden der Bettstelle und darauf immerhin zwanzig Matratzen und dann noch mal zwanzig Daunendecken. Als sich am nächsten Morgen die Besucherin darüber beklagt, schlecht geschlafen zu haben, weil sie irgendwie auf irgendwas Hartem gelegen hatte, ist der Beweis erbracht: So empfindlich kann nur eine wirkliche Prinzessin sein! Daraufhin nimmt der Prinz sie zur Frau.
Die wahren Erbsen
Was uns dieses Märchen aus der Feder des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen sagt, ist zweierlei. Erstens ging man früher wohl davon aus, dass echte Prinzessinnen sehr empfindliche Personen seien, und zweitens – und das ist viel interessanter, weil uns eine Ehe von mittlerweile sowieso längst verblichenen Adeligen ja ziemlich egal sein kann – geht aus der Erzählung eine ganz wesentliche Erkenntnis zum Thema „Erbse“ hervor, die uns heute kaum noch geläufig ist:
Erbsen sind normalerweise hart und trocken, wenn sie geerntet werden, und nicht etwa süß, weich und hellgrün. Die Schoten der Hülsenfrüchte sind sogar von Natur aus darauf ausgelegt, sich erst dann zu öffnen, wenn die Früchte reif sind, und durch ihr schlagartiges Aufplatzen die in ihr liegenden Samen so weit wie möglich herauszuschleudern, was natürlich einer möglichst raumgreifenden Vermehrung dient.
Die praktischen Erbsen
Die grünen Erbsen, wie wir sie heute überwiegend verwenden, sind demnach zwar zart und superlecker, es handelt sich allerdings um noch unreif und vor der Zeit geerntete Früchte. Diese jungen Erbsen hatten früher den entscheidenden Nachteil, dass sie nicht wirklich lange haltbar waren. So gesehen stellten sie keine Hilfe in Zeiten dar, in denen es meist vor allem darum ging, besonders nahrhafte Lebensmittel möglichst lange zur Verfügung zu haben. Das ging nur mit reifen, trockenen und harten Samen, deren Wasseranteil gering war und in denen der reichlich vorhandene Zucker vorerst keine Chance zur Gärung oder Umwandlung bekam.
Und das war ja auch ganz schön praktisch, weil die Erbsen nur geerntet und danach eigentlich nur noch kühl und trocken gelagert werden mussten – danach hatte man mehr oder weniger das ganze Jahr über eine erstklassige Protein- und Stärkequelle. Wollte man die Erbsen dann essen, so mussten sie davor nur gewässert und anschließend gekocht werden; die Erbsensuppe stand – vor allem bei den weniger betuchten Menschen –ausgesprochen häufig auf dem Speiseplan. Frische, grüne Erbsen als schöne Beilage zu anderen Gerichten fand man so gut wie nie, am französischen Hof gab es sie manchmal, aber sie waren wirklich unverschämt teuer.
Die haltbaren Erbsen
Auf jeden Fall ist es überhaupt kein Wunder, dass sich Erbsen seit jeher größter Beliebtheit erfreuten: weil sie vergleichsweise einfach anzubauen und zu ernten waren, weil sie sich sehr lange hielten und weil man sie sehr gut transportieren und aufbewahren konnte. Gemeinsam mit ihrer recht engen Verwandten, der Linse, die ebenfalls zu den Leguminosen zählt, war die Erbse eine der besten Feldfrüchte überhaupt.
Andererseits wollten die Leute gerne auch mal KEINE Erbsensuppe essen, wenn sich das irgendwie machen ließ, und suchten nach alternativen Aufbewahrungs- und Zubereitungsmethoden. Die naheliegendste war das Einkochen mit anschließender luftdichter Unterbringung in Weckgläsern, wovon auch reichlich Gebrauch gemacht wurde, auf die Sache mit der Tiefkühlung musste man dagegen noch ziemlich lange warten.
Erbsen satt
Eine dritte Variante war fast schon genial und so einfach, dass man sich wundern muss, warum nicht schon viel eher jemand auf den Trichter gekommen ist. Im Jahr 1867 trat jedenfalls ein gewisser Johann Heinrich Grüneberg auf den Plan. Grüneberg war nicht nur ausgebildeter Koch, er hatte auch ganz klar ein Händchen fürs Geschäftliche: Aus einer Masse aus Erbsenmehl, Rinderfett, Speck, Salz, Zwiebeln und ein paar Gewürzen stellte er für wenig Geld eine Art trockener Tabletten her, die in wurstförmige, innen beschichtete Papierrollen verpackt wurden. Später – in Wasser aufgelöst und für ein paar Minuten gekocht – ergab das Ganze dann eine sämige Erbsensuppe, die einigermaßen wohlschmeckend war und darüber hinaus so ziemlich alles an Kalorien, Vitaminen und Proteinen enthielt, was man zum Leben brauchte.
Ein paar Soldaten der preußischen Armee durften sechs Wochen nichts anderes essen als „Erbswurst“ und Brot, und als sie danach noch immer quietschfidel waren, kaufte die Armee unserem Herrn Grüneberg nicht nur für eine äußerst stattliche Summe seine Erfindung ab – sie beauftragte ihn auch damit, seine Erbswürste für die gesamte Armee im ganz großen Stil zu produzieren: Es begann mit sieben Tonnen Erbswurst und in den Folgejahren liefen dann bis zu 65 Tonnen vom Band. Pro Tag, wohlgemerkt.
Wahrscheinlich ahnen Sie es schon längst, aber der guten Ordnung halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Erbswurst von Johann Heinrich Grüneberg eines der ältesten industriell hergestellten Fertiggerichte überhaupt ist, dass die Produktion 1898 nach Heilbronn in die Fertigungsstätten zweier Brüder mit dem Familiennamen Knorr überging und dass die industrielle Herstellung erst im Jahr 2018 eingestellt wurde.