Ganz ruhig bleiben
Das vielleicht Wichtigste vorweg: Die Entscheidung, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren, ist eine ganz persönliche und sollte von mehr oder weniger unbeteiligten Dritten nicht infrage gestellt werden. Endlose Debatten, Streitigkeiten oder gar Zerwürfnisse haben hier ebenso wenig Platz wie Dogmatismus, Blockbildung, Pauschalisierungen oder Grabenkämpfe. Jeder soll das essen können, was er möchte – aus welchen Gründen auch immer er oder sie zu dieser oder jener Entscheidung gekommen ist. Und noch eins sollte man ein bisschen im Hinterkopf haben: Wer sich vegan ernährt, tut das oft nicht unbedingt, weil er ganz besonders gesund essen möchte, sondern weil ihm ökologische, moralische und ethische Fragen besonders wichtig sind und er seinen Beitrag zum Wohlergehen des Planeten und seiner Bewohner leisten will.
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Keine Bange
Aber selbst die interessierten Neueinsteiger lassen sich zuweilen ein bisschen ins Bockshorn jagen, weil der veganen Ernährung leider immer noch der Ruf vorauseilt, sie sei unheimlich kompliziert, erfordere zahllose „neue“ Zutaten, immenses Fachwissen, jede Menge Lauferei und sei irgendwie fade. Sehen wir uns das Ganze aber genauer an, dann lassen sich im Grunde nur zwei Hürden identifizieren, und die sind ganz leicht zu überwinden, wenn man nur ein bisschen darüber nachdenkt: die sogenannten Ersatzprodukte und das Gefühl von Verzicht.
Und weil das eine unweigerlich zum anderen führt, ist es eigentlich egal, womit wir anfangen: Wer Verzicht fürchtet, greift eher zum Ersatzprodukt, und wer keine Ersatzprodukte will, stellt seine Ernährung anders auf, ohne Verzicht leiden zu müssen.
Übrigens sollte man den Begriff „Ersatzstoffe“ in diesem Zusammenhang nicht mit „Alternativen in der Küche“ verwechseln.
Original und Fälschung
Wer Wurst, Käse und Eier ersetzen möchte, findet mittlerweile eine ganze Palette an pflanzlichen Ersatzprodukten, die von Sojamilch über käsefreien Pizzaschmelz bis hin zu pflanzlichem Schnitzel und Burger-Pattys reichen. Viele der Nahrungsmittel sehen dem tierischen Original täuschend ähnlich, sind vom Geschmack her kaum zu unterscheiden und gewinnen oft auch überzeugte Fleisch- und Käseesser für sich. Bei veganen Ersatzprodukten sollten man aber auch immer folgende Punkte im Hinterkopf haben.
Verpackung: Vegane Ersatzprodukte sind meist extra gut verpackt, was mehr Müll verursacht. Die meisten Verpackungen sind aus Plastik und manche Produkte sind sogar doppelt und dreifach eingewickelt. Wer dagegen vegane Gerichte ohne Ersatzprodukte kocht, kann auf loses Obst und Gemüse oder Lebensmittel in Großverpackungen zurückgreifen – ein wichtiger Schritt zur Müllvermeidung.
Inhaltsstoffe: Dass vegan nicht automatisch gesund bedeutet, zeigt oft ein Blick auf die Zutatenliste. Viele Ersatzprodukte enthalten Zusatzstoffe wie Stabilisatoren, Emulgatoren und künstliche Aromen. Wer ohne vegane Ersatzprodukte kocht, hat mehr Kontrolle über das, was am Ende in seinem Essen landet.
Frische: Vegane Ersatzprodukte werden oft stark industriell verarbeitet und über mehrere Stationen in den Supermarkt geliefert. Deutlich frischer geht es, wenn man vegane Rezepte aus natürlichen Lebensmitteln selber kocht.
Regionalität: Inzwischen gibt es zwar auch Soja aus Deutschland, aber viele vegane Ersatzprodukte enthalten Zutaten mit langen Transportwegen – etwa Palmöl in veganer Butter oder Mandeln in Käseersatz, was nicht unbedingt gut für die CO2-Bilanz ist.
Gesundheit: Fleischersatzprodukte sind zwar ganz gut, was Hormone, Antibiotika, gesättigte Fettsäuren und Pestizide anbelangt. Trotzdem enthalten sie meist ziemlich viel Salz und warten mit einem gewissen Ungleichgewicht bei den Omega-Fettsäure-Profilen auf.
Unterm Strich sind unverarbeitete pflanzlichen Lebensmitteln natürlich umweltfreundlicher und gesünder als vegane Ersatzprodukte. Dennoch haben diese Produkte natürlich ihre Daseinsberechtigung, weil sie vor allem den Umstieg auf eine vegane Ernährung für viele Menschen leichter machen – und weil sie wirklich gut funktionieren, wenn mal der „große Schmacht“ einsetzt. Aber so richtig brauchen tut man sie eigentlich nicht, was gut für den Geldbeutel und auch ein bisschen für die Nerven ist.
Aber wissen Sie was?
Wenn Sie sich das, was Sie so essen, mal genauer ansehen, werden Sie feststellen, dass Sie es bereits gewohnt sind, sich – zumindest von Zeit zu Zeit – mit Genuss vegan zu ernähren: Pommes mit Ketchup, Nudeln mit Tomatensoße, Kartoffelsalat mit Essig-Öl-Dressing, Linsensuppe, Tomatensuppe, Kartoffelsuppe, so ziemlich alle Salate ohne Sahne oder Mayo und irgendwelche Einlagen aus Käse und Wurst, so gut wie jedes gute Brot, jedes erdenkliche Obst und Gemüse, Tee, Kaffee, Bier, Säfte, Wein – vegane Ernährung ist praktisch überall.
Und wer sich sorgt, dass durch das Weglassen von Fleisch-, Fisch-, Ei- oder Molkereiprodukten die Sättigung oder auch die geschmackliche Vielfalt auf der Strecke bleibt, dem sei empfohlen, sich mal etwas genauer in den sehr interessanten und hervorragenden Küchen der Welt umzusehen. In Indien zum Beispiel, im Nahen und Fernen Osten oder in Afrika zaubern sie die tollsten vollwertigen und köstlichsten Gerichte auf die Teller – was übrigens die vegane Ernährung noch attraktiver macht, weil Sie hier überhaupt keine Ersatzprodukte benötigen, dafür aber den aufregendsten Kräutern und Gewürzen begegnen werden. Und das alleine ist das Ganze fast schon wert.
Außerdem: Was meinen Sie wohl, wie lecker ein richtig zubereiteter und gut gewürzter Tofu schmecken kann?