Das Ding mit dem Loch
„Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist. Das Loch ist der ewige Kompagnon des Nicht-Lochs. Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut (…). Das Merkwürdigste an einem Loch ist der Rand. Er gehört noch zum Etwas, sieht aber beständig in das Nichts. Das Loch ist eine Grenzwache der Materie! Das Nichts, aus dem das Loch besteht, hat keine Grenzwache.“ So weit ein paar Betrachtungen des großen Kurt Tucholsky, die aus dem Jahr 1931 stammen und damit ebenso scharfsinnig wie ganz schön alt sind.
Viel moderner geht es zu, wenn wir uns die Sache mit der Materie am Rand eines Loches aus der Sicht der Astronomen ansehen und einen Sprung nach 2019 bzw. 2022 machen: Die klugen Forscher hatten mit einigen sehr komplizierten Tricks das Kunststück fertiggebracht, ein virtuelles Teleskop mit einem Durchmesser wie die Erde zu „bauen“ und mit seiner Hilfe etwas zu fotografieren, das man eigentlich gar nicht fotografieren kann: schwarze Löcher. Gut, das Loch selbst zeigen die Bilder natürlich nicht – da hatte Tucholsky schon recht, aber das um sie herumrasende Licht bildete eine recht gleichmäßige Struktur, die in der Wissenschaft zwar „Torus“ heißt, von den begeisterten (Hobby-)Astronomen aber mehr oder weniger sofort als „Donut“ bezeichnet wurde.
Und wenn wir schon dabei sind, dann werden auch die aus schwarzem Reifenabrieb auf die Straßen und Plätze gezeichneten Ergebnisse des Versuchs, ein Fahrzeug dermaßen übertourig im Kreis zu drehen, bis es qualmt, „Donuts“ genannt.
Irgendwie scheint es, als würde uns ein dreidimensionaler Kreis mit breitem Rand besonders faszinieren und dringend einen möglichst praktischen Namen benötigen.
Richtig falsch
Donuts also: Ihr Name ist einerseits zwar goldrichtig, führt uns gleichzeitig aber auch sofort in die Irre. Das englische „dough“ bedeutet natürlich „Teig“ und unter „nut“ wurden im Altenglischen (sehr) kleine, runde Küchlein oder auch winzige Kekse verstanden – was die heutigen Donuts natürlich nicht sind (übrigens gibt es auch eine Erzählung, die behauptet, dass die Donuts, bevor man ein Loch in sie stanzte, in ihrem Inneren Nüsse enthalten hätten, damit das Ausbacken einfacher und gelingsicher wäre.).
Richtig alt
Auf jeden Fall ist die Idee, ein bisschen Hefe- oder manchmal auch Rührteig in kleine Einheiten zu bringen und dann in heißem Fett auszubacken, uralt und keineswegs eine Errungenschaft der Amerikaner oder der modernen Mitteleuropäer. Die Griechen hatten den Trick schon drauf, die Römer natürlich auch und im Mittelalter fanden die Araber das Ganze ganz toll und brachten entsprechende Rezepte in unsere Breiten, wo sich vor allem die Engländer, die Holländer und die Deutschen (Krapfen, Mutzen, Berliner) hierfür begeisterten (meistens und sehr gerne zu besonderen Festtagen oder wenn mal wieder eine Fastenzeit vor der Tür stand und man sich vorher noch ein paar Extrakalorien gönnen wollte). Der gebackene Donut wurde und wird entweder in Zucker gerollt oder – noch besser – mit Schokoladenkuvertüre oder bunter Glasur (Fett-Zucker-Mischung) überzogen und mit einiger Fantasie noch weiter ausdekoriert.
Den historischen Quellen zufolge waren es englische (doughnuts) und holländische Aussiedler (oliebollen, Ölbällchen), die noch in den Aussiedlerhäfen Europas ihre Rezepte austauschten, wohl auch miteinander mischten und in stiller Eintracht in die neue Welt exportierten. Und noch mal: Dieses Gebäck hatte noch nichts mit der heute typischen Form zu tun – Donuts waren eher recht unförmige Bällchen, weil der entsprechende Teig schlicht von einem großen Löffel portionsweise ins heiße Fett gestrichen wurde.
Dreimal eingelocht
Die Sache mit dem typischen Loch kam erst ein bisschen später dazu und auch hier gibt es verschiedene Erzählungen und Erklärungen: Eine besagt, dass der Teig viel sämiger wurde und besser schmeckte, wenn man zusätzlich noch Eigelb hinzufügte. Das stimmte zwar auch, führte aber dazu, dass der Teig viel länger brauchte, bis er durchgegart war: Sehr oft waren die Teiglinge dann außen schon viel zu dunkel und fest, wenn sie im Inneren gerade mal so gegart waren. Ein Loch in der Mitte verbesserte die Hitzezufuhr, verringerte die Teigmasse insgesamt und machte den Herstellungsprozess schneller und einfacher.
Entschieden malerischer ist die Geschichte eines gewissen Captain Hanson Gregory, der von seiner Mutter eine schöne Portion Donuts mitgegeben bekommen hatte, dann mit seinem Schiff aber in einen üblen Sturm geriet. Weil er jetzt beide Hände am Steuer brauchte, dabei aber gleichzeitig auch sein Mittagessen nicht aufgeben wollte, spießte er das Gebäck kurz entschlossen auf die Speichen seines Steuerrades auf und fand das Ergebnis mit Loch viel praktischer und leckerer.
Eine dritte Variante ist dermaßen profan, dass man sie kaum erzählen möchte. Sie besagt schlichtweg, dass es viel einfacher und ungefährlicher war, die fertigen Donuts aus dem heißen Fett zu fischen, wenn man eine Art Haken benutzte, den man einfach in das Loch in der Mitte einfädeln konnte, um das Gebäck entweder zu wenden oder herauszunehmen. Suchen Sie sich einfach die Variante aus, die Ihnen am besten gefällt – im Grunde ist es ja auch ein bisschen egal.
Donuts vs. Bagels
Und wenn Sie sich das jetzt vielleicht fragen sollten: Der wichtigste Unterschied zwischen einem Donut und einem Bagel ist gar nicht unbedingt der Teig (Hefe), sondern das Backen. Ein Bagel wird zunächst in kochendes Wasser gegeben (in dem sich manchmal auch etwas Honig befindet) und landet dann in einem Backofen. Auch deshalb hat er eine recht kräftige, glänzende Kruste. Das Loch erleichtert auch hier die Handhabung und war vor allem sehr praktisch, wenn die Straßenhändler und Marktleute ihre frische Ware transportieren mussten: Auf eine Schnur gefädelt oder auf einen Stock gesteckt war das eine ziemlich einfache Angelegenheit. Außerdem werden Donuts in den allermeisten Fällen süß sein, wohingegen Bagels auch sehr gerne herzhaft belegt und genossen werden.
Das Kultgebäck
Gut. Jetzt haben wir die Herkunft, das Rezept, das Prinzip und das Loch. So richtig durchsetzen konnten sich die Donuts in den USA aber erst, als ihre maschinelle Massenproduktion möglich wurde, wofür ein jüdischer Erfinder berühmt wurde, der aus dem russischen Zarenreich geflohen war. Adolph Levitt baute 1920 die erste Donut-Maschine, deren vollautomatisch hergestellte Donuts auf der Weltausstellung 1934 in Chicago immerhin zum „Hit Food of the Century of Progress“ (etwa: „Perfektes Nahrungsmittel für das Jahrhundert des Fortschritts“) ernannt wurden.
Der Rest wäre dann fast schon Geschichte, hätte da nicht noch eine schillernde Persönlichkeit die Bühne betreten: William Rosenberg hatte sein Auskommen, indem er den Fabrikarbeitern in Dorchester, Massachusetts, das heute als Keimzelle der US-amerikanischen Donut-Kultur gilt, für kleines Geld eine kräftigende Mahlzeit und ein bisschen Kaffee verkaufte (er tat das übrigens aus alten und umgebauten Lieferwagen heraus, was ihn ganz nebenbei zum „Erfinder“ der Foodtrucks macht). Irgendwann stellte er fest, dass über 40 % seiner Umsätze rein von Donuts und Kaffee herrührten und eröffnete 1948 kurzerhand einen Laden, in dem es wirklich nur Kaffee und Schmalzgebäck mit Loch zu kaufen gab. Zwei Jahre später taufte er das Geschäft in „Dunkin’ Donuts“ um, machte eine Kette draus, die bis zu seinem Tod 2002 auf über 20.000 Läden in 36 Ländern anwuchs. Heute heißt das Franchise nur noch „Dunkin’“.
Wer einmal in den USA gewesen ist, weiß, dass man an dieser Kette einfach nicht vorbeikommt, wenn es um Donuts geht (neben Tim Hortons, Winchell’s Donuts, Country Style, Batriks Donuts und natürlich Krispy Kreme). Der größte Donutproduzent der USA ist Krispy Kreme, dessen Produkte auch in vielen Supermärkten und Tankstellen in den USA verkauft werden.
Na dann …