Chicken Wings und das Wetter
Das mag sich vielleicht im ersten Moment etwas seltsam anhören, aber wenn wir über den weltweiten Siegeszug der Chicken Wings reden wollen, dann müssen wir zunächst einmal einen Blick auf das Wetter werfen. Konkret geht es um Klima und Temperaturen der Stadt Buffalo, die im Nordosten der Vereinigten Staaten von Amerika an der Nordostspitze des Eriesees liegt. Von hier ist es nur ein Steinwurf zu den berühmten Niagarafällen. Buffalo hat zwar den sonnigsten und trockensten Sommer aller Großstädte im Nordosten der USA, die Winter dagegen können enorm schneereich und auch ziemlich lang sein: Schnee kann in Buffalo von Oktober bis Anfang April fallen. Insgesamt herrscht ein recht feuchtes und manchmal auch ziemlich kühles Kontinentalklima. So richtig angenehm ist dieser meteorologische Cocktail eigentlich nicht.
Behalten wir diese Information kurz im Hinterkopf, denn die berühmten Chicken Wings stammen zwar aus Buffalo, starteten aber ganz woanders in den Staaten durch, und dafür gibt es gute Gründe. Dazu etwas später mehr.
Wer die Chicken Wings erfunden hat
Buffalo war und ist ein Schmelztiegel der Kulturen, wo sich Deutsche und Schweizer, Italiener und nicht zuletzt auch viele schwarze Einwohner und Gegner der Sklaverei ganz allgemein niederließen und recht wohl fühlten. Einer dieser Afroamerikaner hieß John Young und der servierte in seinem Restaurant bereits im Jahr 1963 frittierte Hühnerflügel mit einem eher fruchtigen Dip. Etwas später taucht in der Stadtgeschichte eine gewisse Teressa Bellissimo auf, die zunächst einmal vorgekochte Hühnerflügel mehlierte, diese dann in heißem Fett ausbuk und mit Blauschimmelkäse-Dip und Staudensellerie anbot.
Zu dieser Zeit galten Chicken Wings übrigens noch gar nicht als echte Mahlzeit. Vielmehr waren sie als Snack gedacht, den man den Besuchern einer Bar kostenlos zu Schnaps oder Bier reichte. Erst als sich die leckeren Häppchen immer weiter herumsprachen, setzte man sie gezielt auf die Karten, machte die Portionen größer und teilte dann den Oberarm (Drumstick/Drummette) vom Unterarm (Flat), was das Essen aus der Hand entschieden erleichterte.
Zu diesem Zeitpunkt – wir reden hier so etwa über die 1970er-Jahre – galten Hühnerflügel praktisch im ganzen übrigen Amerika als diejenigen Teile vom Huhn, die man wegen ihres geringen Fleisch- und hohen Knochenanteils eher entsorgte als aß. Wie man sich doch irren kann.
Wie die Chicken Wings berühmt wurden
So weit, so klar: Chicken Wings oder auch „Buffalo Wings“, wie man sie nicht ganz ohne Lokalpatriotismus jetzt nannte, waren im Nordosten in aller Munde, allerdings zunächst auch nur da. Und jetzt können wir gerne noch mal übers Wetter reden, weil eine ganz gehörige Menge Menschen aus Buffalo (und hier vor allem die Rentner) die Nase voll von dem komischen Wetter im Bundesstaat New York hatte und folgerichtig für den wohlverdienten Ruhestand ins Warme zog. Konkret hieß das Florida. Und mit den Rentnern kamen schließlich auch so um 1975 die Chicken Wings in Florida an.
Die erste Kette, die sich ganz dem Thema verschrieb, zählte immerhin 18 Filialen und bediente entscheidenderweise neben den Kunden in Florida auch die in Indiana und vor allem in Kalifornien. Das Konzept der Kette ging zwar nicht auf, in der Zwischenzeit war aber eine richtig große Systemgastronomie-Kette aus Florida, Hooters, auf die Sache mit den frittierten Flügeln gekommen und rollte das Gericht ab den späteren 1980er-Jahren im großen Stil praktisch in ganz Nordamerika aus.
In den 1990er-Jahren sprangen dann die Foodgiganten Domino’s und Pizza Hut auf den Zug auf und mit deren Marketingpower war der Rest im Grunde nur noch reine Formsache: Die Unternehmen warben in US-weit ausgestrahlten Fernsehspots insbesondere im Rahmen großer Sportereignisse für die Hühnerflügel als idealen Snack zum TV-Konsum. So gab Domino’s allein 1994 32 Millionen US-Dollar für Werbespots aus, die verkündeten, dass die Kette jetzt Buffalo Wings im Angebot habe. Durch die in der Werbung propagierte enge Verbindung zwischen Sportgroßereignissen und den Hühnerflügeln als perfektes Fingerfood dazu wurden sie insbesondere zu diesen Anlässen populär.
Chicken Wings als beliebter Snack
Und diese Beliebtheit ist ganz gut nachvollziehbar: Die ansonsten hochgeschätzten „Ribs“, also Spareribs, sind deutlich teurer als Chicken Wings, und das andere Highlight – Pizza – übersteht die oft langen Sportübertragungen nicht sonderlich gut und lässt sich auch nur schlecht wieder aufwärmen.
Als typisches Snack-Food werden die Hühnerflügel von größeren Gruppen gemeinsam von einem ausreichend dimensionierten Teller gegessen, der für alle zugänglich ist. Damit eignen sie sich insbesondere für die gemeinsame Freizeitgestaltung wie beim Anschauen von (endlos langen) Sportübertragungen wie Football oder Baseball.
Insbesondere sind die Chicken Wings dermaßen eng mit dem Super Bowl verbunden, dass der Preis für Hühnerflügel im Handel mit schöner Regelmäßigkeit Ende Januar deutlich ansteigt (das Finale 2024 fand am 11. Februar statt). Und seit 2010 veröffentlicht das National Chicken Council (das gibt’s wirklich) jährlich vor dem Super Bowl einen nicht ganz ernst gemeinten, aber von der Öffentlichkeit sehr interessiert verfolgten „Wing Report“, in dem es um Marktlage, Nachfrage und Geschichte der Wings geht. Auch steht im Wing Report jedes Jahr geschrieben, wie viele Chicken Wings am Super-Bowl-Wochenende verzehrt wurden. Und 2024 waren das – Sie setzen sich besser – 1,45 Milliarden.
Varianten und typische Chicken Wings
Weil die Chicken Wings zunächst einmal vor allem durch Kentucky Fried Chicken in den deutschsprachigen Raum eingeführt wurden, kann man leicht denken, dass sie immer mit einer relativ feurigen Marinade und einer extraknusprig-würzig-knackigen Panierung vorbereitet und dann frittiert werden. Bei KFC wird das Gericht schlicht als „Hot Wings“ vermarktet.
Andere (System-)Gastronomen haben aber andere Rezepte, machen die Kruste weniger knusprig und spielen auch mit anderen Marinaden und verschiedenen Schärfegraden. Immer gleich ist dagegen: Der Hühnerflügel wird am Gelenk aufgetrennt, die ungenießbare Flügelspitze schneidet man weg, das Fleisch wird mariniert und paniert/mehliert und kommt dann roh in die Fritteuse. In der Pfanne gebratene oder im Ofen gebackene Flügel würde man nicht als echte Chicken Wings bezeichnen, allerdings gibt es vorfrittierte Fertigprodukte, die man nur noch aufbacken muss.
Vorgekochte, danach panierte und erst dann frittierte Chicken Wings sind eher selten zu bekommen.
Die typischen Chicken Wings, deren Wurzeln man noch erkennt, sind – logisch – die Buffalo Wings, die auch als „Hot Chicken Wings“ angeboten werden: Die Marinade basiert auf Tabasco (oder Paprikapulver, Salz und Cayenne). Ganz wichtig: Sie werden nach dem Marinieren und vor dem Frittieren nicht paniert, sondern nur leicht mehliert. Typischerweise werden sie ganz traditionell mit einem Blauschimmelkäse-Dip und Staudensellerie serviert.
Die Systemgastronomie geht hier jedoch einen eigenen Weg und reicht zu den knusprigen Hähnchenflügeln meist Krautsalat und Pommes. Das Paket wird gerne als „American Style“ verkauft; kennt man sich aber ein bisschen besser aus, dann weiß man, dass echte Chicken Wings ganz andere Begleiter haben.
Geschmacklich irgendwo zwischen Marinade und Dip anzusiedeln ist die klassische „Buffalo Sauce“. Sie basiert auf Essig, Butter, Zucker und Cayennepfeffer und wird in verschiedenen Schärfegraden gereicht. Ursprünglich war sie als zweiter möglicher Dip zu Chicken Wings gedacht, sie hat sich in der Folgezeit aber mehr oder weniger verselbstständigt und wird oft zu BBQ, Pizza oder auch Pommes frites genossen.
Chicken Wings als „gesundes Fast Food“
Zum Schluss noch schnell eine gute Nachricht: Chicken Wings zählen – sofern man sie richtig zubereitet und sich den Bauch nicht zusätzlich mit Pommes, Ketchup, Mayo oder Cola vollschlägt – zu den kalorienärmsten und so gesehen gesündesten Fast-Food-Produkten. 100 Gramm servierfertige (und panierte) Chicken Wings haben nur um die 325 Kilokalorien und enthalten in etwa 19 Gramm Proteine, 12 Gramm Kohlenhydrate und 22 Gramm Fett.