Erst mal ein bisschen Erdkunde
Dass wir uns zuallererst ein bisschen mit der Geografie Apuliens befassen, erscheint nur auf den ersten Blick weit hergeholt. Die Region im tiefen Süden Italiens (man kann auch sagen: Hier liegen die Ferse und der Absatz des berühmten Stiefels) erstreckt sich entlang des Adriatischen und des Ionischen Meers und erreicht mit der Punta Palascìa den östlichsten Punkt Italiens, der nur noch 80 Kilometer von der albanischen Küste entfernt ist. Das Gebiet besteht zu etwas über 53 % aus Ebenen, zu 45 % aus Hügelland und nur zu 1,5 % aus Gebirge, was Apulien zur flachsten Region in ganz Italien macht. Nennenswerte Berge gibt es also nicht und durch die Lage tief im Süden herrscht ein besonders mediterranes Klima aus trocken-heißen Sommern und feucht-milden Wintern.
Hoppla
Umso überraschter waren die Bewohner des Örtchens Andria, das ungefähr 50 Kilometer südlich des berühmten „Sporns“ zu finden ist, als im Jahr 1956 heftige und andauernde Schneefälle einsetzten, die nicht nur zu großer Verwunderung führten, sondern auch die komplette Infrastruktur der Gegend total zum Erliegen brachten. Straßen waren unpassierbar, der Nahverkehr stand still – es ging absolut gar nichts mehr. Jetzt kann man natürlich sagen, dass die Leute ja nur ein bisschen abwarten mussten, damit bei den ansonsten sehr milden Temperaturen in der Gegend der Schnee schnell wieder verschwand. Im Prinzip tat er das auch – allerdings traf es die Milchbauern schon ziemlich hart, dass sie ihre Hauptprodukte Milch, Sahne und Butter nicht mehr schnell genug von ihren außerhalb gelegenen Höfen in die Stadt Andria bringen konnten. Immerhin ging es um vergleichsweise leicht verderbliche Ware.
Gut verpackt ist halb gewonnen
Allerdings waren die Bauern weder doof noch einfallslos, und so machten sie aus der klimatischen Not eine kulinarische Tugend. Immerhin war gar nicht besonders weit entfernt der gute alte Mozzarella erfunden worden und wurde inzwischen auch in Apulien hergestellt, wenn auch meistens nicht aus Büffel-, sondern aus Kuhmilch. Dieses Rezept kannten die Bauern also nur allzu gut.
Um jetzt ihre Butter und vor allem die Sahne vor dem Verderben zu bewahren, kamen sie schnell auf den Trichter, eine ausreichend große Schicht Mozzarella flach auf dem Tisch auszubreiten, mitten hinein einen guten Löffel frische Sahne (und vielleicht etwas Butter) zu geben und das Ganze dann mit geschickten Händen zu einem kleinen Säckchen hochzubinden. Dieses musste man danach nur noch zur Kugel formen und zum Zwecke der besseren Haltbarkeit (und ein bisschen auch des Geschmacks wegen) in Salzlake geben. Das Ergebnis dieses Schaffens machte die Burrata zwar auch nicht endlos haltbar, half aber immerhin über die Zeit bis zur Schneeschmelze hinweg – und gab dem Edelfrischkäse letzten Ende auch seinen Namen: Burrata könnte man am ehesten wohl mit „gebuttert“ übersetzen.
Innere Werte
Wobei: Mit ein bisschen Sahne und Butter in der Mitte war und ist es nicht getan; würde man das so machen, dann wären die Käsekugeln (die übrigens auch birnenförmig sein können) im Inneren viel zu weich und filigran, als dass sie irgendwie ihre Form halten könnten. Der Trick, den die findigen Apulier anwendeten, war, dass sie von der ohnehin verfügbaren Mozzarella-Masse (die durch Ziehen, Walken und Strecken unter relativ hohen Temperaturen zu fadenartigen und vergleichsweise reißfesten Strängen verarbeitet wird: Filata) eine gute Portion mit der Sahne (und/oder ein bisschen Butter) vermischten und dieses „Gesamtpaket“ dann schließlich mit dem Mozzarella umhüllten. Nun blieb die Sahne relativ lange frisch, der Geschmack ging deutlich in Richtung buttrige Süße – Mozzarella dagegen ist nur ein bisschen salzig – und beim Verzehr war das Innere des frischen Käses dermaßen cremig und mild und zart und saftig, dass sich ganz Italien mehr oder weniger über Nacht in diese Schöpfung verliebte.
Und nur, damit es noch deutlicher wird, weil es im Zusammenhang mit Burrata wichtig ist: Der volle Name für Filata, also für Käse und Herstellungsmethode, lautet „Formaggio a pasta filata“, was in etwa als „Käse aus gesponnenem Teig“ (filare, spinnen, ausziehen; von filo, Faden) übersetzt werden kann. Anderenorts wird Filata zumeist – deutlich banaler – schlicht Brühkäse genannt.
Frischer ist besser
Natürlich ist eine solch filigrane und frische Delikatesse nicht sehr lange haltbar, auch in der Salzlake hält sie sich kaum mehr als 20 Tage. Achten Sie deshalb ganz besonders auf das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) und kaufen Sie möglichst Produkte, die Ihnen noch reichlich Zeit zum Verzehr geben. Denn Sie sollten wissen, dass Burrata umso besser schmeckt, je frischer sie ist – das Bad im Salzwasser gibt zwar Geschmack, ist aber eigentlich nicht der Sinn der Sache.
Eine recht zuverlässige Methode zur Bestimmung des Frischegrades ist die Lake selbst: Je klarer sie ist, desto frischer ist die Burrata. Achten Sie beim Kauf also zusätzlich auch darauf, ob die Lake nicht vielleicht schon ziemlich trüb geworden ist. Im Zweifel lieber weitersuchen oder gezielt nachfragen. Und wenn Sie beim Genuss eine deutlich saure Note im Inneren bemerken sollten, verzichten Sie lieber auf den Verzehr: Frische Burrata darf zwar ganz leicht säuerlich schmecken, wenn sie aber sauer ist, ist sie verdorben.
In den Handel kommen bei uns eher die kleineren Kugeln mit einem Gewicht von um die 125 Gramm und einem Durchmesser von etwa 10 oder 12 Zentimetern (in Italien sind aber auch Kaliber von 300 bis 500 Gramm nicht selten). Im Grunde also sehr ähnlich dem handelsüblichen Mozzarella, was mitunter zu Verwirrung und Verwechslung führen kann. Allerdings kann man oft schon am Preis erkennen, worum es sich handelt: Meistens ist Burrata teurer als „normaler“ Mozzarella – bei echtem Büffelmozzarella kann die Sache allerdings wieder ganz anders aussehen.
Noch besser
Zu genießen sind die weißen Wunder im Grunde genau wie Mozzarella: Sie schmecken herrlich zu Tomaten und Basilikum, fühlen sich pudelwohl auf frischer Pasta und machen auch als besonders eleganter Brotbelag eine gute Figur. Manche Kenner genießen sie direkt aus der Hand – und haben den Trick raus, wie man mit leisem Schlürfen verhindert, dass die halbflüssige Füllung im Mund und nicht auf dem Schoß landet. Hochgradig luxuriös und fast schon verschwenderisch großzügig ist eine Burrata natürlich, wenn man eine Pizza mit ihr veredelt. Allerdings sollte man die saftige Sämigkeit entweder erst nach dem Backen auflegen oder nur für wenige Sekunden der enormen Hitze eines Pizzaofens aussetzen (und dazu muss man wirklich gut aufpassen).
Adelsstand
Und um das auch noch kurz erwähnt zu haben: Ziemlich genau 60 Jahre, nachdem es in Apulien so heftig geschneit und die Bauern aus der Not diese Tugend gemacht hatten, hat auch die EU bemerkt, welch einmalige Delikatesse da so in ihrer Lake schwimmt, und im Jahr 2016 folgerichtig beschlossen, den Käse der Marke Burrata di Andria g.g.A. – also mit „geschützter geografischer Angabe“ – in der gesamten Union anzuerkennen und somit in den erlesenen Club der besonders erwähnens- und schützenswerten Nahrungsmittel aufzunehmen. Gut so!