In aller Ruhe
Für alle durch Hitze gegarten Speisen und Zutaten gilt immer dasselbe Prinzip: grundsätzlich lösen sich durch Wärme oberhalb von ca. 60°C die vorhandenen Zellstrukturen auf, Proteine werden aufgebrochen und das im Gewebe befindliche Wasser wird freigesetzt. Dieser „Hydrolyse“ oder auch „Denaturierung“ genannte Prozess läuft überall mehr oder weniger nach denselben Regeln ab – egal, ob bei Fisch, Fleisch, Geflügel, Gemüse oder Obst.
Beim Schmoren können (und sollten) wir Fleisch zubereiten, das sich aufgrund seiner natürlichen Beschaffenheit nicht als Kurzgebratenes eignet, dafür aber ein paar unschlagbare Vorteile hat.
Denn man kann das jetzt ungerecht finden oder nicht, aber: Besonders grobfaseriges Fleisch mit reichlich Bindegewebe, Knochen oder gar Sehnen hat potenziell viel mehr geschmacklichen „Wumms“ als feine, elegante, magere Stücke – das wäre ja auch viel zu schön, um wahr zu sein. Um also einerseits auch noch das letzte bisschen Delikatesse und Aroma herauszukitzeln und andererseits butterzarte Ergebnisse zu erzielen, gibt es nur eine Möglichkeit – und die besteht aus vier Zutaten: Wasser, Wärme, Topf und Zeit.
Kommt Zeit, kommt Brat
Auch die stärksten Bindegewebsstrukturen kapitulieren irgendwann vor der Wärme und verkochen allmählich zu köstlicher Gelatine. Allerdings erfordern die kräftigen Muskelfasern und das Kollagen dermaßen lange Garzeiten (und verlieren so viel Wasser), dass man am Ende dann zwar zartes, aber leider eben auch trockenes Fleisch auf dem Teller hat.
„Nicht mit mir!“, rief der empörte vorzeitliche Mensch aus und erfand kurzerhand das Schmoren im Saft. Im Unterschied zum Braten wird beim Schmoren nicht darauf gesetzt, die Flüssigkeit im Fleisch zu halten, sondern sie sozusagen künstlich in ausreichenden Mengen hinzuzufügen und nach Möglichkeit nicht als Dampf entweichen zu lassen. Ein typisches Schmorgericht kommt also mit dem Fleisch, reichlich Fond, Wasser, Wein oder Bier und einer gehörigen Portion Gemüse, dessen Zucker-und Wassergehalt zum Gesamtkunstwerk beitragen.
Deckel drauf und gut
Und dann sind da noch die verschiedenen Schmorgefäße. Das geht beim gusseisernen Bräter mit Deckel aus Glas oder Metall los und ist auch beim Römertopf oder bei der schicken Tajine noch lange nicht vorbei. Das Prinzip ist im Grunde überall gleich: Die Zutaten liegen in ihrem Sud, das erhitzte Wasser steigt im Gefäß auf, kondensiert und fließt am inneren Rand wieder zurück in den Sud. Dabei erreicht es nicht nur jeden Millimeter unseres Schmorgerichts, es durchdringt es geradezu. Und das über Stunden. Idealerweise muss bei einem Schmortopf niemals Flüssigkeit nachgefüllt werden. Mit anderen Worten geben wir dem Fleisch das Wasser zurück, das wir ihm vorher gewaltsam entrissen haben, und der Braten – dankt es uns mit fantastischem Geschmack, großer Zartheit und enormer Saftigkeit.