Die Untermieter
Lassen Sie uns erst mal schnell ein paar Zahlen ansehen: 1.000 x 1.000 = 1.000.000, also 1 Million. 1.000 x 1.000.000 = 1.000.000.000, also 1 Milliarde. 1.000 x 1.000.000.000 = 1.000.000.000.000, also 1 Billion. Und 100 x 1.000.000.000.000 = 100.000.000.000.000, also 100 Billionen. Zumindest, wenn wir uns nicht verrechnet haben.
Auf der Erde leben etwa acht Milliarden Menschen, in Ziffern 8.000.000.000, was uns natürlich wie eine riesige Zahl vorkommt – zumindest bis wir erfahren, dass sich im Darm eines einzelnen gesunden Menschen so um die (oder immerhin bis zu) 100.000.000.000.000 Mikroorganismen tummeln und pudelwohl fühlen. Zu jedem Zeitpunkt leben Mikroorganismen mit einem Netto-Gesamtgewicht von einem bis zwei Kilogramm in unserem Darm.
Oder noch einmal anders, damit Sie auch wirklich beeindruckt von Ihrem Unterbauch sind: Im Darm befinden sich rund 1,3-mal so viele Mikroorganismen, wie der komplette Organismus eines Menschen Zellen enthält.
Die Fachkräfte
Und dieses Mikrobiom besteht keineswegs aus ein paar wenigen Gruppen – wir reden hier von etwa 36.000 verschiedenen Arten, die man, um das Ganze vielleicht ein bisschen verständlicher zu machen, als Berufsgruppen oder Spezialisten bezeichnen könnte: Mediziner, Dienstleister aller Art, Polizisten, Landwirte, Bestatter, Gastronomen, Handwerker, Informationsprofis. Wir werden von rund 36.000 Expertengruppen bevölkert. Einige davon erscheinen dabei eher wie Touristen (sie schaden nicht und nutzen auch nicht viel), andere benehmen sich gerne mal daneben (dann werden wir krank) und wieder andere engagieren sich zu gegenseitigem Vorteil in diesem Mikro-Makrokosmos, weil sie uns gesund halten und auch zuverlässig dafür sorgen, dass der Rest unseres Organismus mit Nährstoffen versorgt wird, weil sie auch noch das Letzte aus unserer Nahrung herausholen. Unter dem Strich sind sie in ihrer Ganzheit absolut unverzichtbar für das, was wir menschliches Leben nennen.
Einen gehörigen Anteil dessen, was wir so essen oder trinken, also vornehmlich Eiweiß, Zucker, Fett Mineralstoffe und Vitamine, schafft unser ureigenes Verdauungssystem ganz gut selbst zu verarbeiten. Das beginnt bereits im Mund, wo unser Speichel voller Enzyme ist, die bereits beim Kauen mit der Verwertung der Nahrung beginnen. Dann kommt der saure Magen und dann der Dünndarm, der sich sozusagen ums Kleine, Feine kümmert. Der Dickdarm holt schließlich wertvolles Wasser aus dem bereits verdauten Nahrungsbrei, stellt es dem Körper zur Verfügung und sammelt die für uns unverdaulichen Bestandteile ein, damit sie später ausgeschieden werden können.
Jedes Böhnchen …
Einiges schafft unsere primäre Verdauung aber nicht, sodass so manche Leckerei ganz unbeschadet den Dickdarm erreicht. Und das sehr zur Freude unserer zahllosen Untermieter, die sich mit großem Eifer und meistens auch Erfolg an deren Zerlegung machen. Sogenannte Dreifachzucker oder auch Raffinosen sind dafür ein gutes Beispiel: Unsere Verdauung bekommt sie einfach nicht kaputt – unsere Mitbewohner dagegen schon. Sie metabolisieren sie kurzerhand (was ein schöneres Wort für „verdauen“ ist), wobei als Nebenprodukt leider unter anderem auch Methan abfällt, das unseren Körper nur in gasförmiger Form verlassen kann, indem wir pupsen, was – deutlich eleganter – auch als Flatulenz bezeichnet wird.
Womit wir auch schon bei den Bohnen bzw. ihrer berüchtigtsten Nebenwirkung sind. Bohnen enthalten (wie alle Hülsenfrüchte) nicht nur eine ziemliche Menge an Protein (was unseren Körper aufs Höchste beglückt), sondern eben auch einen gehörigen Anteil an Mehrfachzuckern, die, wenn sie den Dickdarm erreichen, vom leisen Biom zum lauten Abgas umgebaut werden.
Heiß begehrt
Gerade ihr besonders hoher Anteil an Eiweißen, also Proteinen, machte und macht die Bohnen zu einem ebenso wertvollen wie begehrten Lebensmittel. Körnerleguminosen (was Bohnen botanisch betrachtet sind) haben mit 23 % Roheiweißgehalt den zweithöchsten Proteinwert von Nahrungspflanzen überhaupt – nach den Sojabohnen. Kein Wunder, dass sie seit Menschengedenken wenn nur irgendwie verfügbar wichtiger Bestandteil der Ernährung waren.
Jetzt muss man allerdings ein bisschen aufpassen: Das, was wir heute in den meisten Fällen unter „Bohnen“ verstehen, beschreibt in allererster Linie die Gartenbohne, grüne Bohne, Schnittbohne, Buschbohne oder Stangenbohne. Diese Bohnen kommen kulturgeschichtlich erst ziemlich spät an die Reihe (etwa um 6.000 v. Chr. in Peru) und sind das Ergebnis einer gezielten Kultivierung der Pflanzen, die das Ziel hatte, nicht immer nur die inneren Samen, sondern gleich die ganze Schote verspeisen zu können. Bis zu diesem Zeitpunkt waren es – genau – die knallharten und trockenen Kerne gewesen, hinter denen man her war.
Sie hatten ja auch durchaus ihre Vorteile: War die Bohne reif und die Schote entsprechend trocken, konnten die Bohnen sehr leicht ausgelöst werden, ließen sich hervorragend lagern (weil sie so wenig Wasser enthielten) und wurden zum Essen nur noch aufgeweicht und schließlich gekocht.
Das Kochen diente übrigens nicht nur dem Zweck, nicht so viel kauen zu müssen oder sich nicht die Zähne am Mittagessen auszubeißen. Rohe Bohnen (Gartenbohnen und auch Bohnensamen) sind von Natur aus giftig – das enthaltene Phasin ruft Erbrechen, eventuell tödlichen Durchfall und Absorptionsstörungen im Darm hervor und kann zu tonischen Krämpfen und Schockzuständen führen. Ungekochte Bohnen aß man also lieber nicht und außerdem hatte das Kochen noch einen sehr angenehmen Nebeneffekt: Wusch man die Bohnen vor dem Verzehr nämlich möglichst gründlich ab, spülte man auch eine gewisse Menge des berüchtigten Mehrfachzuckers ab, was die spätere Gasbildung im Darm etwas abschwächte.
Aber ganz unabhängig von dieser Kleinigkeit: Bohnen, die aus dem Glas oder der Dose kommen, sind sicher verzehrfertig, weil sie bereits vor der Abfüllung mindestens auf die benötigten 700 C erwärmt worden sind, die das Phasin zuverlässig neutralisieren.
Der Kern der Sache
Wie gesagt: Zunächst einmal waren es die Bohnen, die uns an der Bohne interessierten – hart, trocken, gut zu lagern und zu transportieren und eine sehr potente Proteinquelle. Die Sache mit der essbaren Schale kam erst sehr viel später ins Spiel. Die Samen können groß, klein, schwarz, bunt, weiß, rot, gesprenkelt oder gestreift sein, die vergleichsweise günstigen Bohnen decken als Grundnahrungsmittel in vielen Ländern einen Großteil der Eiweißversorgung der ärmeren Bevölkerungsschichten.
Nicht verwechseln!
Und auch an dieser Stelle muss man vorsichtig sein bzw. sollte Folgendes wissen: Die berühmte Ackerbohne, auch Puffbohne, Feldbohne, Saubohne, Schweinsbohne, Pferdebohne, Fababohne, Faberbohne, Favabohne, Viehbohne oder auch Dicke Bohne, gehört zwar ebenso zur Familie der Hülsenfrüchtler, zählt aber zu den Wicken, während die Gartenbohne zu den Schmetterlingsblütlern gehört.
Die beiden sind also wirklich nur sehr entfernte Verwandte und kommen auch aus ganz unterschiedlichen Regionen der Erde: die Ackerbohne eher aus dem östlichen Mittelmeerraum und die Gartenbohne aus Südamerika. Und wenn Sie das auch noch interessiert: Beide, sowohl Acker- als auch Gartenbohne kommen nicht in Wildformen vor – sie sind das Ergebnis einer teils Jahrtausende währenden Kultivierung durch den Menschen.
Innerlich lecker
Reife Bohnen (also die Kerne) werden in vielen regionalen Varianten als Suppen- und Eintopfzutat verwendet, beispielsweise im Bohneneintopf der deutschen Küche, in der serbischen Bohnensuppe, in der italienischen Minestrone (deren Cannellini-Bohnen als wahre Köstlichkeit der italienischen Küche gelten; ihr Geschmack ist mild und leicht nussig und während des Kochvorgangs werden sie cremig und angenehm weich, weil sie eine besonders dünne und zarte Schale haben) und in Baked Beans, die auch in Konservendosen erhältlich sind. In Frankreich gibt es Cassoulet, in Spanien Fabada, ein brasilianisches Nationalgericht ist Feijoada und im Chili con Carne kommen sie auch recht häufig vor (hier oft als rote Kidney-Bohnen, die ihren Namen von der nierenförmigen Gestalt der Samen haben – was eigentlich Unsinn ist, da so gut wie alle Bohnenkerne diese spezifische Form aufweisen). Das indische Dal ist ein Gericht, das aus den verschiedensten Hülsenfrüchten (meistens Linsen) hergestellt wird, wovon „Rajma Dal“ eine Variante aus roten Gartenbohnen ist. Gallo Pinto ist ein Gericht aus Bohnen und Reis, das sehr gerne in Costa Rica und Nicaragua genossen wird.
Außenrum edel
In Europa, Nordafrika und Vorderasien werden die noch nicht ausgereiften Hülsen der Gartenbohnen oft als Gemüse gegessen (grüne Bohnen, gelbe Wachsbohnen), bekannte deutsche Gerichte sind saure Bohnen, Bohnensalat aus grünen Bohnen und natürlich ein anständiger Bohneneintopf.
Fast unentschieden
Die Beliebtheit von grünen und Trockenbohnen hält sich übrigens weltweit in etwa die Waage: Den ca. 23 Millionen Tonnen geernteter grüner Bohnen standen im Jahr 2020 27 Millionen Tonnen getrockneter Bohnen gegenüber.