Das unumstößliche Naturgesetz
Haben Sie sich vielleicht auch schon mal gefragt, warum ein Luftballon, den man kraft seiner Lippen und Lunge aufpustet, zu Boden sinkt, während einer, den man zum Beispiel mit Helium befüllt, zügig aufsteigt und sehr weit fliegen kann? Beide Hüllen wiegen das Gleiche und werden auf die gleiche Größe gebracht, aber der mit der Luft will einfach nicht fliegen. Nun denn – weil wir Ihnen jetzt nicht mit allzu viel Physik die gute Laune verderben wollen, machen wir es möglichst kurz und schauen nur rasch auf das dahinterliegende Prinzip. Es nennt sich Auftrieb und entsteht dadurch, dass zwei verschiedene Dichten direkt miteinander in Verbindung gebracht werden. Der Körper mit der geringeren Dichte steigt dann in der Umgebung mit der höheren Dichte so lange auf, bis die Dichte in seinem Inneren derjenigen seiner Umgebung entspricht. Die Natur sucht immer das perfekte Gleichgewicht.
Beim Luftballon ist das dann so: Weil die Luft, die man in ihn hineinpustet, genau diejenige ist, die ihn umgibt (also unsere Atemluft), gibt es nichts auszugleichen, und weil die Hülle ein gewisses Gewicht hat, muss der Ballon zu Boden sinken. Füllt man den Ballon aber mit Gas, das sozusagen von Natur aus leichter als Luft ist, so wollen die physikalischen Kräfte unbedingt einen Ausgleich erzielen und lassen den Ballon in eine Höhe aufsteigen, in der der äußere und der innere Druck (also die Dichte des Gases) identisch sind. Erst dann steigt der Ballon nicht mehr weiter und der Ausgleich wurde erzielt.
Hoch damit
Heliumgas ist immer leichter als Luft, also steigt der Ballon. Natürlich kann man aber auch ganz einfach die Dichte von Atemluft verringern, indem man sie schlichtweg erwärmt. Gase dehnen sich umso mehr aus, je wärmer sie werden, also auch unsere „normale“ Luft, die schließlich nichts anderes ist als eine Mischung verschiedener Gase. Ist die Menge, also das Volumen eines Ballons, ausreichend groß und die Temperatur der Luft in seinem Inneren entsprechend hoch, dann ist die Dichte der Gase darin entsprechend gering. Als Folge entwickelt der hierdurch entstehende Auftrieb eine solche Kraft, dass er nicht nur die Ballonhülle, sondern auch noch Gasflaschen, ein Transportgefäß und mehrere Passagiere locker in die Lüfte hebt. Immer vorausgesetzt, die Hülle hat kein Loch, durch das Wärme und Gas entweichen können, und man behält die aktuelle „Betriebstemperatur“ genau im Auge.
Die Chinesen kannten wahrscheinlich die Sache mit dem Ausgleich der Dichten noch nicht, bauten aber trotzdem schon sehr früh diese hübschen kleinen Laternen aus hauchdünnem Papier mit einem kleinen Feuerchen unten drin, die – wenn auch nur für kurze Zeit – sehr anmutig in den Abendhimmel aufstiegen.
Gültiger Versuch
Deutlich spektakulärer und viel weniger spielerisch ging es im Jahre des Herrn 1783 in Versailles zur Sache, nachdem zwei Brüder mit den schwungvollen Namen Joseph Michel und Jacques Étienne Montgolfier das Kunststück fertiggebracht hatten, eine gewaltige Hülle aus Leinwand und Papier zu bauen. Unten war natürlich eine ganz schön große Öffnung, sodass man nur noch ein ganz schön großes Feuer machen musste, ohne dabei die Hülle in Brand zu setzen, und die heiße Luft irgendwie ins Innere bugsieren musste. Der erste unbemannte Flug soll eine Höhe von 2.000 Metern erreicht und um die zehn Minuten gedauert haben – weitere bemannte Flüge folgten. (Sie wissen jetzt natürlich, warum der Ballon wieder zu Erde sank: Die Luft im Inneren kühlte sich ab, die Dichte nahm wieder zu und die Auftriebs- wich einer Abtriebskraft.).
Auf jeden Fall wurden die Herren nicht nur in Fachkreisen sehr berühmt, weil sie ja immerhin die bemannte Luftfahrt erfunden hatten: Bis zu diesem Zeitpunkt hatten nur Vögel, Papierdrachen und die hübschen chinesischen Fluglaternen die Lüfte erobert.
Die physikalische Lockerung (die wirklich so heißt)
So. Jetzt aber endlich zum Blätterteig – schließlich sind Sie ja wegen der herrlichen Köstlichkeit hier und nicht, weil Sie sich für die Beschaffenheit von Gasen begeistern. Andererseits kommen wir genau um diesen Aspekt nicht wirklich herum, denn was die Montgolfiers physikalisch-technisch auf die Beine gestellt hatten, findet mehr oder weniger genau so auch beim Blätterteig statt: Es geht um die Ausdehnung erwärmter Gase.
Damit ein Teig aufgeht, müssen Gase hinein, die sich mit der Backtemperatur ausdehnen können und so die Krume leicht und locker werden lassen. Ob diese Gase (genauer: CO₂) von Milchsäurebakterien (Sauerteig), Hefepilzen (Hefeteig) oder durch chemische Reaktionen erzeugt werden (Backpulver), ist dem Teig ziemlich egal. Hauptsache, sie dehnen sich bei höheren Temperaturen zuverlässig so lange aus, bis sich schöne kleine Hohlräume gebildet haben. Auch der Plunderteig, der dem Blätterteig nicht ganz unähnlich ist (auch er wird touriert, dazu weiter unten mehr), setzt auf Hefe und darf deswegen auf keinen Fall mit Blätterteig gleichgesetzt oder gar verwechselt werden. Denn Blätterteig ist wirklich einmalig.
Im Grunde ist Blätterteig nichts anderes als eine riesige Konstruktion aus bis zu 144 Heißluftballon-Hüllen und jeder Menge dazwischenliegender Gase (die allerdings noch keine sind, weil das dafür benötigte Wasser im Teig erst beim Backen gasförmig wird). Sein persönliches Backtriebmittel ist also reine Physik, was ihn nicht nur für Kenner, Könner und Genießer zu etwas ganz Besonderem macht.
Vollgas
Der Reihe nach. Stellen Sie sich der Einfachheit halber vor, eine hauchdünne Fettschicht würde oben auf einer nicht viel dickeren Schicht Teig liegen. Fett ist wasserundurchlässig, solange es nicht schmilzt, und Teig enthält immer einen gewissen Anteil Wasser. Wird eine derart aufgebaute Teigkonstruktion im Ofen erhitzt, wird das Wasser zu Gas, dehnt sich aus (verliert also an Dichte) und steigt nach oben. Weil es aber dort auf eine Schicht aus undurchlässigem Fett trifft, endet seine Reise hier und es verwendet seine ganze Kraft (Energie) darauf, diesen Deckel anzuheben. Der Teig wird so einerseits luftig und bleibt durch die zahllosen Schichten andererseits sehr stabil. (Darum kann ausgebackener Blätterteig auch nicht wirklich geschnitten werden und muss – so wie bei den Croissants – vor dem Ofen fertig portioniert und geformt werden.)
Der Trick liegt also in der eigentlichen Schichtung, dem Tourieren, von Teig (Ziehteig) und Fett (Ziehfett), was einigermaßen aufwendig ist: Wir reden hier immerhin von 144 Fett- und 288 Teigschichten. Dabei darf das Fett auf keinen Fall reißen und dann Risse oder Löcher aufweisen, durch die der Wasserdampf entweichen könnte – wenn das passiert, geht der Teig nicht richtig auf. Und das wäre schlichtweg eine kleine Katastrophe.
Weil er keine Säure und keine Hefen enthält, ist Blätterteig nur abhängig vom Eigengeschmack der verwendeten Fette (Stichwort: Butteraroma), weitgehend geschmacksneutral und wird meist auch ohne Zuckerzusatz hergestellt. Dadurch eignet er sich sowohl für süße als auch für herzhafte Gebäcke.
Extraportion
Womit wir schnell noch nach Istanbul müssen, das früher ja Konstantinopel hieß. Wer schon mal da gewesen ist, dürfte sich auch den weltberühmten Topkapi-Palast angesehen haben (Gesamtbauzeit vom 15. bis zum 19. Jahrhundert) und wissen, dass dieser die Residenz des jeweiligen osmanischen Sultans war. Weil ein Sultan der mächtigste Herrscher über ein sehr beachtliches Reich war, wurde er natürlich von einer hervorragend ausgebildeten Elitetruppe bewacht; seine Leibgarde bildeten die nicht minder berühmten Janitscharen. Machten sie ihren Job das Jahr über gut und dem Sultan wurde kein Haar gekrümmt, dann belohnte der Herrscher sie immer zu Ramadan mit einer schönen Portion Baklava, also Blätterteig-Gebäck, das sie mit viel Stolz und Würde in einer ganz besonderen Prozession zurück in ihre Kaserne trugen. Baklava war und ist nun mal eine ganz besondere Angelegenheit, weshalb diese Prozession als „Baklava-Prozession“ in die Geschichtsbücher einging.
Tatsächlich liegt der Ursprung des Blätterteigs im östlichen Mittelmeerraum, von wo er erst mit den Kreuzzüglern seinen Weg nach Mitteleuropa fand. (Allerdings muss Konstantinopel das Rezept unterwegs irgendwie abgefangen haben, weil das Original-Baklava-Rezept wohl in der Hofküche des Topkapi-Palastes entwickelt und perfektioniert wurde – wahrscheinlich mochte der Sultan diese besondere Leckerei also auch ganz gern.) Der internationale Begriff „Filo“ für papierdünne Teiglagen ist jedenfalls griechischen Ursprungs und schon im 11. Jahrhundert enthält ein türkisches Wörterbuch den Begriff „Yufka“ für ein Gebäck, das aus mehrfach (allerdings nicht zahllosen) gefalteten Teiglagen bestand.
Wunderbare Vielfalt
Vielleicht liegt es daran, dass Blätterteig seit Anbeginn eine ganz besondere und vergleichsweise seltene Spezialität gewesen ist. Vielleicht war es seine ganz besondere Struktur mit der feinstknusprigen Kruste und dem butterzarten Inneren. Vielleicht wurde er aber auch einfach deshalb so beliebt und berühmt, weil man geschmacklich so ziemlich alles mit ihm machen konnte, wonach einem der Sinn stand. Neutral, süß, salzig, herzhaft, fruchtig, cremig, flach, gedreht, gebogen, hohl, knusprig, weich … Es gibt so gut wie nichts, was Blätterteig nicht kann. Das hat zu einer enormen Menge an Rezepten und Produkten geführt, von denen wir an dieser Stelle nur einige wenige nennen wollen:
Apfeltaschen, Nusshörnchen, Aprikosentaschen, Baklava, Baniza, Filet Wellington, Fleurons, Jambons, Käsegebäck, Pastéis de Nata, Schweinsohren, Sfogliatelle, Strudel, Vol-au-Vents („Königin-Pastetchen“), Millefeuille, Tarte Tatin.
Lecker.