Baguette

Wenn es zwei Dinge auf der Welt gibt, mit denen jeder Erdenbürger Frankreich in Verbindung bringt, dann dürften das wohl Croissant und Baguette sein. Zu Recht, denn die bäckerischen Köstlichkeiten haben nicht nur ihre unverwechselbare Form, sondern schmecken auch einfach wunderbar. Und auch, wenn man das jetzt kaum glauben mag: Keins der beiden ist eine französische Erfindung!

Der, die, das

Das muss man den Franzosen schon lassen: Sie haben auf jeden Fall ihren eigenen Kopf. Wie anders wäre es sonst zu erklären, dass es bei ihnen DER Butter, DIE Fluss, DER Sonne oder DIE Mond gibt, was sich für unsere Ohren irgendwie ziemlich falsch anhört. Aber es sei ihnen gegönnt, schließlich ist es ihre Sprache und solange sie gut damit zurechtkommen, ist ja auch alles in schönster Ordnung – schließlich sprechen sie ja auch von DIE Frankreich, wenn sie ihre Nation meinen.

Außerdem sollten wir auch nicht allzu streng sein, denn auch in Deutschland sind wir nicht immer ganz konsequent. Die Elbe, die Donau, die Isar, die Weser, die Ruhr, die Werra, die Ahr und dann kommen plötzlich wie aus heiterem Himmel der Rhein, der Main und der Neckar – na ja …

Auf jeden Fall ist es nur konsequent, wenn sie ihr liebstes Brot DIE Baguette nennen, also „la baguette“, womit wir uns ganz gut arrangieren können (in Deutschland ist es übrigens durchaus legitim, auch DAS Baguette zu sagen). Ihre sprachlichen Wurzeln liegen wie so oft im Lateinischen, wo „baculum“ mit Stock oder auch Stab übersetzt wird, und die Nachsilbe „ette“ ist schlicht eine Verkleinerungsform (wie wir es auch von Oper und Operette kennen). All das zusammengenommen, würde Baguette also in etwa Stäbchen, Stöckchen oder Stängelchen bedeuten, was ja in der Tat sehr gut zu ihrer Form passt.

Wer, wie, was

Gut. Die Baguette ist in allen Köpfen der Welt ein geradezu ikonisches Produkt der französischen Backkunst – und fast ja schon ein Klischee von Savoir-vivre, also der französischen Kultiviertheit. Ohne Baguette kein Frankreich. Das Problem ist nur, dass die nationale Errungenschaft aus Teig gar nicht besonders alt oder geschichtlich aufgeladen ist und vor allem überhaupt nicht von einem Franzosen erfunden wurde. Sacré!

Vielmehr war es entweder ein polnischer Bäcker, der sich in Paris niederließ und aus ein bisschen Weizenmehl, Hefe, Salz und Wasser die ersten Stäbchenbrote entwickelte, oder ein gewisser August Zang, der aus Wien zugereist war und ab 1840 sein „Wiener Brot“, die Pain Viennois, in eigener Bäckerei verkaufte. Ganz unwahrscheinlich ist diese Variante auch nicht, denn ziemlich sicher war es derselbe August Zang, der aus dem „Wiener Kipferl“ das Croissant entwickelte, das ja ebenfalls mehr als kulturstiftend für Frankreich ist.

Aber: gleich zwei kulinarische Leuchttürme von Leuten aus dem Ausland erfunden? Skandal, wenn nicht gar eine nationale Schande! Empört dachten die Franzosen – vor allem die Pariser – noch mal ziemlich lange nach und kamen schließlich mit der (steilen) These um die Ecke, dass es dann doch eher der Bretone Fulgence Bienvenüe gewesen sei, dem Frankreich seine Baguette zu verdanken habe. „Steil“ an dieser These ist allerdings, dass Monsieur Bienvenüe zwar ebenfalls Bedeutsames geleistet hatte – allerdings zeichnete er als Ingenieur für den Bau der ersten Pariser Metro verantwortlich, was ihm zwar ewigen Ruhm einbrachte, ihn aber nicht gerade zum Bäcker machte. Jemand Besseres war aber wohl keinem eingefallen …

Typisch für die Baguette ist ihre besonders knusprige Kruste und lockere Krume, was – neben dem Teig – vor allem den tiefen, lang geschwungenen, schrägen Einschnitten zu verdanken ist. Das Ergebnis wird dann zwar wunderbar knackig, dafür trocknet eine Baguette aber sehr schnell aus, weswegen sie in aller Regel ganz frisch gekauft und möglichst unmittelbar verzehrt wird. Es ist keineswegs unüblich, vor dem Mittagessen und vor dem Abendessen zweimal am Tag frische Baguette zu kaufen.

Noch mal kurz zurück zum Teig bzw. zur sogenannten Teigführung: Der Trick bei Baguettes ist es nämlich, den Teig mit ziemlich wenig Hefe anzusetzen, dafür aber besonders lange und bei recht kühlen Temperaturen gehen zu lassen (und eventuell auch einen Vorteig anzusetzen, aber hier unterscheiden sich die Rezepte oftmals von Bäckerei zu Bäckerei). Sind die Teiglinge in Form gebracht, ruhen sie nur noch einen relativen kurzen Moment (knappe Gare), bevor sie mit kräftiger Schwadengabe (das heißt mit viel Dampf) bei abfallender Hitze und dementsprechend relativ lange ausgebacken werden.

Für die Herstellung der gesetzlich geschützten „Baguette nach französischer Tradition“ (baguette de tradition française) gibt es seit 1993 sogar ein Dekret, das unter anderem auch vorschreibt, dass der Teig nur Salz, Wasser, Hefe und Weizenmehl enthalten darf, von einer Bäckerei selber hergestellt werden muss und auch am Verkaufsort gebacken wurde. Die nehmen das Ganze wohl wirklich ziemlich ernst.

Wieso, weshalb, warum

Über französische Baguette-Varianten

Baguette: Gewicht: 240 bis 310 Gramm, Länge: etwa 55 bis 70 Zentimeter, ovaler Querschnitt: etwa fünf Zentimeter

Flûte (Flöte): gleiches Gewicht, doppelte Länge, aber halbe Dicke einer Baguette (in den USA mitunter als „Parisienne“ bezeichnet)

Pain (Brot): gleiche Länge wie eine Baguette, aber dicker, Gewicht: etwa 400 Gramm

Ficelle (Faden): gleiches Gewicht, aber deutlich länger und dünner als eine Baguette

Demi-Baguettes, Tiers: Baguette in Brötchenform

Boule (Ball): ein großes, rundes Brötchen

Tatsächlich wird nur die erste Variante in Frankreich als Baguette bezeichnet und die anderen Formen wie oben beschrieben. Pain ist außerdem oft aus einem anderen, leicht säuerlichen Teig hergestellt, der sich länger frisch hält, und eignet sich besonders gut, wenn das Brot nicht so bald nach dem Kauf verzehrt werden soll.

Grundsätzlich wird Brot in der französischen Küche meist anstelle der in anderen Küchen üblichen Sättigungsbeilagen wie Reis, Kartoffeln oder Nudeln gereicht; oft wird es aber auch zusätzlich zu Speisen angeboten, die solche Beilagen enthalten. Ein französisches Essen ohne Weißbrot gilt als unvollständig und quasi unvorstellbar. Es dient in der Alltagsküche auch dazu, Reste der Soße vom Teller zu wischen und aufzuessen und so den Verzehr einer Speise feierlich zu beenden.

Unverzichtbar ist das Weißbrot für den in fast jeder anständigen Mahlzeit enthaltenen Käsegang – nur zu süßen Speisen, die jedoch nicht bei jedem Essen auf den Tisch kommen, wird kein Brot gereicht.

Zum Frühstück werden in der Alltagsküche die Brote vom Vortag oft in Stücke geschnitten und aufgewärmt oder geröstet und mit Marmelade, manchmal auch mit Butter gegessen; gern werden sie in den Frühstückskaffee (Milchkaffee) getunkt, um sie zu aromatisieren und weicher zu machen. Es wäre also ziemlich untypisch, wenn sich ein Pariser Bürger schon morgens eine frische Baguette zum Frühstück besorgt – so etwas machen eigentlich nur ahnungslose Touristen …

 

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