Her damit!
Handelshof: Herr Kabakci, ich habe unlängst gelesen, dass die Deutschen im Grunde genommen immer noch einkaufen wie vor 30 Jahren. Ist da was dran?
Refik Kabakci: Ja. Da ist allerdings was dran.
HH: Was meinen Sie, woran das liegen könnte?
R. K.: Na ja – der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Und nur weil in irgendwelchen TV-Kochshows und Zeitschriften, in Online-Blogs oder auf Youtube mittlerweile dermaßen viel Aufhebens um eine „neue Küche“ gemacht wird, dass manche schon von „Food Porn“ sprechen, heißt das noch lange nichts für die Mehrzahl der Konsumenten. So richtig machbare, realistische und vernünftige Rezepte sind seltener, als man denkt. Und die Super-/Megaprodukte fallen ja auch nicht gerade reihenweise vom Himmel. Egal, was die Szene sagt …
HH: Jetzt mal aus Ihrer Erinnerung: Was war denn der letzte wirklich große Produktkracher der letzten Jahre?
R. K.: Wenn Sie das in Jahren wissen wollen, dann wird das nichts. Selbst die Süßkartoffel, die sich im Moment ja zunehmender Beliebtheit erfreut, ist nicht gerade ein Produkt, das Masse macht.
HH: Dann in Jahrzehnten …
R. K.: Wir suchen ein Produkt, das im Markt eingeschlagen ist wie eine Bombe. So in etwa wie damals Bananen oder Orangen …
HH: Genau. Aber das ist mir zu lange her – gab’s denn danach nicht noch so einen Superschuss?
R. K.: Ja, den gab es: die Chinesische Stachelbeere.
HH: Aha – da muss ich entweder was verpasst haben …
R. K.: … oder Sie kennen sie unter einem anderen Namen: Kiwi.
HH: Haha – klar kenne ich Kiwis. Wer auch nicht?
R. K.: Eben. Sehen Sie! Heute kennt die jeder und sie wird immer noch in rauen Mengen abverkauft. Aber zu Anfang der 70er-Jahre fand die in Deutschland so gut wie gar nicht statt, obwohl sie vor allem in Großbritannien damals schon sehr beliebt war.
HH: Was ist passiert?
R. K.: Schwer zu sagen, wahrscheinlich war die Zeit reif und die Produktionskapazität hoch genug.
HH: Haben Sie irgendwelche Zahlen?
R. K.: 1972 wurden in ganz Deutschland lächerliche 900.000 Kiwis konsumiert. Neun Jahre später, also 1981, waren es – wollen Sie mal raten?
HH: Besser nicht. Vielleicht 5 Millionen?
R. K.: Fast. Ungefähr 85 Millionen.
HH: Uff.
R. K.: Ja. Uff. Aber da ist Ihr Gamechanger. Hat es seitdem in diesen Dimensionen so nicht mehr gegeben.
HH: Was uns von der rätselhaften Marktbewegung zur nicht minder geheimnisvollen Produktbewegung führt.
R. K.: Zur was?
HH: Wie die Ware in die Auslage kommt.
R. K.: Ach so, warum sagen Sie das nicht gleich?
HH: Weil ich mich kurz einer Wortspiel-Idee hingegeben habe. Tschuldigung, kommt nicht wieder vor.
R. K. (schmunzelt): Möchten Sie jetzt über die Logistik oder über unseren Einkauf oder über unsere Warenwirtschaft sprechen?
HH: Erst mal über den Einkauf. Hier fängt ja irgendwie alles an, oder?
R. K.: Allerdings. Ohne Ware erübrigt sich alles andere ja auch.
HH: Superfrisch ist immer ein Problem, oder?
R. K.: Warum?
HH: Weil superfrisch so schnell gehen muss.
R. K.: Ja, aber das ist eher Logistik – und die haben wir ganz gut im Griff. Viel wichtiger ist die Qualität der Ware, die Flexibilität unserer Lieferanten und natürlich das, was die Natur gerade so macht.
HH: 18 Märkte in unterschiedlichen Regionen. Da kann ein zentraler Einkauf nicht wirklich funktionieren, oder?
R. K.: Kommt drauf an. Bei Spargel oder Kartoffeln oder frischem Salat wäre das wohl eher Quatsch. Bei Zitronen, Mandeln oder Feigen kann das aber ganz anders aussehen. Produkte, die wir aus dem Ausland beziehen, sind in Deutschland meistens überall gleich beliebt, da kann der zentrale Einkauf durchaus seine Vorteile haben.
HH: Wie muss ich mir das jetzt konkret vorstellen: Sie packen leise pfeifend Ihre Reisetasche und fahren vergnügt nach Anatolien, um mit den Bauern dort über Qualität und Preise zu verhandeln?
R. K.: Ach du Schreck! Nein, so läuft das nicht. Grundsätzlich beziehen wir ausländische Ware direkt von den entsprechenden Importeuren. Mit denen reden wir auch über Preise, Konditionen, Kontingente und natürlich über die Qualität.
HH: Aber wäre es nicht viel günstiger, wenn Sie direkt beim Erzeuger einkaufen würden?
R. K.: Wir reden hier ja bitte nicht von einem Hofladen! Bei unseren Umschlagsmengen und unserer Produktvielfalt wäre das nicht realisierbar. Der Importeur ist genau richtig für uns: Er ist der erste Anlaufpunkt für die Ware, hat sich bereits um den Papierkram, Fracht und die Formalitäten gekümmert und weiß natürlich ganz genau, welche Qualitäten wir von ihm erwarten.
HH: Das heißt, Sie verlassen sich ganz auf den Importeur?
R. K.: Nein. Das wäre naiv. Wir fahren schon zu den Herstellern bzw. in die entsprechenden Regionen, sehen uns den Anbau und die Gegebenheiten an und sprechen auch mit den Verpackungsfirmen. Die müssen unsere Ware ja so gut wie möglich und nach unseren Vorstellungen „eintüten“. Auch sehr wichtig.
HH: Und dann?
R. K.: Dann verschaffen wir uns ein Bild, ob unser Importeur vor Ort mit den richtigen Leuten die richtigen Dinge tut, ob die Infrastruktur stimmt, ob andere Dienstleister auf unsere besonderen Wünsche eingehen können oder wollen – und so ergibt sich ein Bild.
HH: Was wäre denn so ein „besonderer Wunsch“?
R. K.: Fangen wir woanders an. Ein Megaabnehmer rechnet und denkt in riesigen Mengen: containerweise. Für den sind 20 Container mit 25-Kilo-Säcken Orangen völlig in Ordnung. Gegen diese Abnahmeriesen sind sogar wir nur ein relativ kleines Licht. Trotzdem möchten wir als Kunde ernst genommen und gut bedient werden. Wenn ich also zu einem Verpacker sage, dass ich Orangen mit einer Packungsgröße von 2,5 Kilo pro Beutel möchte, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Er macht es, oder er macht es nicht. Wenn er’s macht, kommen wir ins Geschäft. Wenn er’s nicht macht, bin ich durch die Tür und suche mir einen Partner, der besser auf meine Wünsche eingeht. Alles in Abstimmung mit dem Importeur, natürlich. Ich kooperiere lieber mit den engagierten mittelgroßen Unternehmen vor Ort. Die sind deutlich flexibler und auch persönlicher als die, die die Giganten bedienen.
HH: Das heißt, Sie wissen schon ziemlich genau, was vor Ort los ist …
R. K.: … und muss mich trotzdem nicht ums Tagesgeschäft kümmern. Außerdem hat der Importeur noch einen Vorteil.
HH: Und welchen?
R. K.: Der hat sein Ohr ganz gut am Markt. Es ist ja so, dass ihm als wichtigem Zwischenhändler durchaus immer mal wieder Produkte aus aller Welt vorgestellt und angeboten werden, die wir hier erst mal nicht auf dem Schirm haben. Es kann also durchaus passieren, dass er mich einlädt, mal dieses oder jenes Obst oder dieses Gemüse oder jenes Kraut zu probieren.
HH: So ähnlich muss das mit der Kiwi gelaufen sein …
R. K.: Gut möglich. Und die hat dann in wenigen Jahren die Sahnetorte von innen aufgerollt. Würde mich glatt mal interessieren, ob das damals über einen britischen oder einen neuseeländischen Importeur gelaufen ist …
HH: So. Jetzt haben wir den Importeur und seine Waren. Manches kaufen Sie zentral ein, manches regional – und den Rest?
R. K.: Den „Rest“, wie Sie das nennen, ordern die einzelnen Märkte je nach Bedarf und Kundenwunsch beim Importeur bzw. beim Großhändler unseres Vertrauens. Aus den Märkten heraus werden auch die Preise gemacht – also im Rahmen dessen, was grundsätzlich zwischen Handelshof und Importeur ausgehandelt ist.
HH: Ein schnelles Geschäft, oder?
R. K.: Sehr schnell. Aber wir wissen ja alle, was wir tun und wie’s geht …
HH: Was ein Glück! (Zwinkert)
R. K.: Mit Glück hat das jetzt eher weniger zu tun.
HH: Schon klar. Ich habe begriffen, dass Sie und Ihr Team gut drauf sind …
R. K.: Finde ich auch. (Grinst)
Interview und Redaktion: Joachim van Moll