Je frischer, desto besser
Handelshof: Herr Wüstenberg, Fisch …
Dirk Wüstenberg (nach einer kurzen Weile): War das eine Frage?
HH: Nein, nein, ich versuche mich nur gerade zu sammeln, weil es so viele Aspekte gibt, die beim Handel mit Fisch und Meeresfrüchten zu besprechen sind.
D. W.: Das stimmt.
HH: Fangen wir also mal vorn bzw. hinten an: Welche Frage hören Sie an den Fischtheken am häufigsten?
D. W.: Mit Abstand am häufigsten sogar: Ist die Ware frisch bzw. wie frisch ist die Ware?
HH: Und ich dachte, das wäre ein Klischee …
D. W.: Für die Kunden steht die Frische an allererster Stelle. Sorte, Herkunft, Siegel, allgemeine Qualität, Auswahl usw. kommen erst danach.
HH: Woher kommt das?
D. W.: Na ja, Fisch gilt natürlich als leicht verderbliche Ware und das stimmt ja – so gesehen – auch. Zeit spielt ihm nicht in die Hände wie zum Beispiel beim Rindfleisch, wo man ja sagen kann, je reifer, desto besser. Fisch sollte schon so frisch wie möglich sein.
HH: Das stellt den Handel mit dieser Warengruppe vor besondere Herausforderungen, oder? Zum Beispiel, was die Logistik angeht.
D. W.: Ja, aber diese Herausforderungen sind lösbar, wenn man die richtigen Handels- und Logistikpartner hat. Wir können zum Beispiel handgeangelte Ware aus Neuseeland in 36 Stunden hier im Markt liegen haben. Das hat natürlich seinen Preis, ist aber möglich … Nur ist so etwas ja auch eher die Ausnahme. Normalerweise lassen wir uns von den umliegenden Küstenregionen beliefern, wo unsere Handelspartner sitzen.
HH: Stichwort Küste: Mir erscheint es logisch, dass man einen Tagesfang aus Küstennähe blitzschnell beim Großhändler hat. Aber was ist …
D. W.: … mit den mehrtägigen oder wochenlangen Fahrten der Offshore- und Hochseefischerei?
HH: Genau.
D. W.: Gut, also: Bei mehrtägigen Fahrten werden die Fische sofort nach der Anlandung ausgenommen oder filetiert und unter Eis in Kisten gepackt. Die Temperatur liegt bei etwa 0 Grad bis 2 Grad. So bleibt der Fisch frisch und ist nicht gefroren. Auf diese Weise hält er sich sehr gut auch über mehrere Tage. Bei wochenlangen Fahrten geht das natürlich so nicht mehr. Hier werden die Fische unmittelbar nach dem Fang bei –40 Grad und mehr schockgefroren und sind danach gut und gerne 12 Monate haltbar.
HH: Aber dann ist es doch vorbei mit der Fangfrische …
D. W.: Überhaupt nicht! Frischer geht’s doch gar nicht. Fangen und in den Tiefschlaf versetzen. Wenn die Ware später unter den richtigen Bedingungen wieder aufgetaut wird, liegt sie da wie eben aus dem Meer geholt. Es gibt kaum einen Qualitätsunterschied. Alles andere ist auch wieder so ein Klischee …
HH: Es gibt ja diese Begriffe „seegefroren“ und „landgefroren“. Der eine klingt nach riesigen Fabrikschiffen auf rauer See und der andere nach Bastkörben, gut gelaunten Händlern und Fisch zum Ansehen. Was ist denn nun besser für den Fisch?
D. W.: Wir und unsere Klischees, was? Aber egal. Die seegefrorene Ware ist besser. Sie müssen sich das so vorstellen: Bei landgefrorener Ware vergeht viel mehr Zeit, bevor der zwar gekühlte, aber eben noch nicht so richtig kalte Fisch in seiner letztendlichen Verkaufsform eingefroren wird. Wieder spielt hier die Zeit zwischen Fang und Frost die entscheidende Rolle. Darum hat die unmittelbar seegefrorene Ware einfach eine bessere Ausgangsbasis.
HH: Es gilt ja die Regel: Im Einkauf liegt das Heil. Wie können Sie denn sicherstellen, dass Ihre Ware tipptopp, frisch und in hoher Qualität geliefert wird?
D. W.: Na ja, so ein bisschen was verstehen wir ja auch von der Materie …
HH: Aber nur so ’n bisschen …
(Beide lachen)
D. W.: Das heißt, dass wir erstens unsere Lieferanten und Großhändler schon sehr gut kennen und natürlich bei den Eingangskontrollen sehr genau wissen, worauf wir achten müssen. Außerdem weiß unser Partner, welche Qualitäten wir erwarten und auch abnehmen würden. Uns ist das Vertrauen zu unserem Partner sehr wichtig, aber ohne Kontrolle geht es natürlich auch nicht.
HH: Kontrolle ist gut – Vertrauen ist besser?
D. W.: Am liebsten, ja. Aber es ist und bleibt nun mal ein Geschäft und da gelten eben gewisse Regeln. Aber normalerweise kommt wirklich nur erstklassige und frische Ware bei uns an.
HH: Jetzt liegen da die schönsten Lachsfilets in der Auslage, bald ist Wochenende und noch sind nicht alle verkauft. Was nun?
D. W.: Sie meinen, ob wir die Stücke übers Wochenende einfrieren und dann wieder auftauen würden? Ganz klar: nein. Das würde weder unserem Ethos noch unserem Qualitätsanspruch genügen. In diesem Fall würden wir sie lieber einem potenziellen Käufer aktiv anbieten, besonders schmackhaft machen und mit gutem Gewissen verkaufen.
HH: Und das klappt?
D. W.: Wir werfen so wenig wie möglich Ware in den Müll – kein Tier soll dafür gestorben sein, dass wir es wegwerfen, das ist eine Überzeugungssache, die mir persönlich sehr wichtig ist. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ja, das klappt. Von der frischen Ware verlieren wir weniger als 1 %.
HH: Noch mal zur Gretchenfrage.
D. W.: Wie hast du’s mit …?
HH: Woran erkenne ich die Frische der Ware? Wenn wir das weitergeben können, dann verändert sich vielleicht auch die Qualität der Gespräche an der Fischtheke …
D. W.: Bei ganzen Tieren: Die Augen sollten klar sein und glänzen. Die Haut sollte feucht sein und glänzen. Das Fleisch sollte nach der Druckprobe wieder zurückkommen. Das Farbspektrum der Kiemen kann – je nach Fischsorte – von durchaus Dunkelrot bis richtig Rosa reichen. Wenn sie aber dunkelbraun sind und die Ware sehr weich ist und ein beißender Geruch dabei ist: Finger weg!
HH: Und der Geruch? Man hört ja immer wieder, dass Fisch nicht nach Fisch, sondern nach Meer riechen soll …
D. W.: Ja, bei frischem Fisch ist das grundsätzlich auch so, aber es kommt immer auch auf das Fanggebiet, die Nahrung und die jeweilige Spezies an. Aber wenn es wirklich stechend riecht, dann wäre ich sehr vorsichtig und würde den Rat des Verkäufers meines Vertrauens einholen.
HH: Einfach, oder?
D. W.: Sehr einfach. Darum lieber selber testen und dann über Zubereitungsarten fachsimpeln. Das macht definitiv mehr Spaß.
Interview und Redaktion: Joachim van Moll