Handelshof: Herr Nennen, wir reden die ganze Zeit über Fleisch und sind noch gar nicht auf Fleisch zu sprechen gekommen.
Dirk Nennen: Ist das so?
HH: Ja, Fleisch im Sinne von dem, was schließlich auf den Teller kommt.
DN: Sie meinen die einzelnen Cuts?
HH: Ich meine vor allem das, woran ich als Kunde die viel gepriesene Qualität beim Einkauf erkennen kann – unabhängig vom eigentlichen Stück.
DN: Okay. Aber mal vorab: Manches ist objektiv und manches subjektiv. Wer zum Beispiel jede Sehne, jede Silberhaut oder jeden Fettdeckel als minderwertig abqualifiziert, legt die falschen Kriterien an.
HH: Wie meinen Sie das?
DN: Ein Rumpsteak ohne Sehne und Fettdeckel ist ebenso undenkbar wie ein Tafelspitz. Beide Stücke sind sehr hochwertig und unterscheiden sich trotzdem stark voneinander. Das eine ist nur eben fürs Kurzbraten perfekt und das andere fürs langsame Ausgaren, weil dann die Sehne zu köstlicher Gelatine verkocht.
Ich mag die schlichte und voreilige Einteilung in hochwertiges und minderwertiges Fleisch einfach nicht. Es kommt auch immer sehr stark auf den Koch und das Rezept an.
HH: Gut, einverstanden. Dann sprechen wir über allgemeinere Kriterien. Woran erkenne ich gutes Fleisch?
DN: Das fängt idealerweise schon bei der Produktbeschreibung an: Welche Rasse, welche Herkunft, welche Fütterung, welche Haltung, welche Reifung? Hier ist der Händler oder der Metzger in der Pflicht. Aber der kann Ihnen auch nur das sagen oder aufschreiben, was er selbst weiß. Je mehr er weiß, umso besser für Sie.
HH: Und dann?
DN: Dann gehen wir grundsätzlich davon aus, dass das Tier das richtige Schlachtalter hatte, und achten besonders auf die Fleischfarbe, auf die Marmorierung und darauf, wie ein Stück geschnitten ist.
HH: Also der Reihe nach …
DN: Das ideale Schlachtalter variiert von Tierart zu Tierart und auch innerhalb einer Art. Lämmer und Kälber werden natürlich recht früh geschlachtet, Rinder leben länger als Schweine und so weiter. Diese Aspekte berücksichtigt ein Händler oder Metzger aber und würde Ihnen bestimmt keine neun Jahre alte Milchkuh als 22-monatigen Schlachtochsen verkaufen. So blöd sollte er zumindest nicht sein …
HH: Weil man mit einem steinharten und trockenen Braten jeden erschlagen kann, der einem Mist verkauft?
DN: (schmunzelt) So ungefähr. Bei der Farbe gilt jedenfalls die Regel: je dunkler, umso besser. Nicht nur, weil gut abgehangenes Fleisch schön nachdunkelt, sondern vor allem auch, weil ein tiefes, kräftiges Rot Rückschlüsse darauf zulässt, dass sich das Tier sehr eisenhaltig ernährt hat. Und Eisen ist stark in frischem Gras und in Kräutern enthalten. Es ist nicht die Farbe Rot, die so gut schmeckt, Dunkelrot sagt mir als Verbraucher aber, dass das Tier natürlich und artgerecht gefressen hat. Das macht den Geschmack. Beim Schwein ist das übrigens genauso.
HH: Je dunkler, umso besser?
DN: Ja. Das ist, nebenbei gesagt, auch beim Kalbfleisch so. Manche denken immer noch, dass das fast weiße Fleisch vom Milchkalb besonders fein oder edel schmecken würde. Das stimmt aber so nicht. Es schmeckt einfach nach besonders wenig und ist insofern nicht besonders toll.
HH: Die Marmorierung ist ja so eine Art Aushängeschild für Qualität. Warum?
DN: Na ja, zunächst mal kann man die sehr gut sehen, erkennen und einschätzen. Es sind die weißen Fetteinlagerungen, die den Muskel durchziehen. Je mehr, desto besser.
HH: Fett als Qualitätsmerkmal?
DN: O ja, sehr sogar. Fett schmeckt und macht das Stück saftig und zart. Besonders beim Steak. Beim US-Beef wird der sogenannte Marbling-Score in verschiedene Qualitätsstufen aufgeteilt. „Prime“, also die höchste Stufe, ist das Fleisch mit dem höchsten intramuskulären Fettanteil.
Ein gutes Beispiel für dieses Thema ist natürlich auch das berühmte Kobe-Rind. Hier ist die Marmorierung dermaßen stark ausgeprägt, dass man besser von Fleischeinlagerungen im Fett spricht.
HH: Brr …
DN: Stimmt, ist nicht jedermanns Sache und ja auch sehr teuer, aber so ist das mit der Marmorierung. Wenn Sie ein gut marmoriertes Stück sehen, schlagen Sie jedenfalls am besten gleich zu und werden es nicht bereuen.
HH: Woher kommen eigentlich diese Unterschiede, was die Marmorierung angeht?
DN: Sie meinen die Unterschiede innerhalb derselben Rasse?
HH: Ja. Wenn ich mir vorstelle, dass tausend Rinder derselben Rasse aus derselben Gegend geschlachtet werden, müssten die doch alle dieselbe Marmorierung haben …
DN: Na ja – wir reden hier ja immer noch von der Natur und die lässt sich auf solche einfache Rechnungen nicht unbedingt ein. Wenn Sie allerdings eine Rasse haben, die genetisch grundsätzlich dazu neigt, recht viel intramuskuläres Fett aufzubauen, werden Sie auch kein restlos mageres Fleisch erhalten. Aber es kommt auch wirklich sehr stark auf die Ernährung an.
HH: Erklären Sie das mal einem Weiderind …
DN: … oder dem Schwein, das Ihrer Vorstellung nach von der Weide direkt ins Schlachthaus marschiert? Da kennen Sie aber die Farmer schlecht.
Sehr viele Farmer lassen die Tiere frei laufen und leben. Aber ungefähr drei Monate, bevor zum Beispiel die Rinder das perfekte Schlachtalter erreichen, werden sie zusammengetrieben und mit einer bestimmten pflanzlichen Futtermischung gefüttert, die sehr energiereich ist und die Tiere ordentlich Fett ansetzen lässt. Zum Glück an den richtigen Stellen.
HH: Also doch nichts mit extensiver Haltung?
DN: Doch, sehr viel extensive Haltung. Und auch dann, wenn die Herden zusammenkommen, werden sie nicht in einen Stall gesperrt. Man treibt sie nur eben zusammen, um ihnen das Futter leichter zur Verfügung stellen zu können. Sind Sie schon mal dem Begriff „grain-fed“ begegnet?
HH: Ja, im Zusammenhang mit Australischem Rind, glaube ich.
DN: Sehen Sie. Das ist genau dasselbe. Ergebnis ist, dass die kerngesunden Weiderinder einfach noch die Extraportion Kalorien bekommen, die eine schöne, hochwertige Marmorierung ergeben.
Man muss übrigens wissen, dass manche Cuts grundsätzlich magerer wachsen als andere. Ein Hüftsteak oder eine Lende ist anatomisch einfach anders angelegt als zum Beispiel ein Ribeye oder der Nacken.
HH: Also Rasse, Herkunft, Farbe, Futter, Marmorierung?
DN: Im Grunde ja. Und dann noch richtig geschnitten, vor allem nicht zu dünn. Alles andere sind dann persönliche Vorlieben, zum Beispiel Reifegrad oder wenn man sich besonders mager ernähren will oder muss.
HH: Ganz einfach, eigentlich.
DN: Ich wundere mich auch manchmal, warum sich so viele so schwer damit tun …